160 Seiten Klausurtipps: Kaiser/Bracker: Die Staatsanwaltsklausur im Assessorexamen
Endlich ein Buch mit klar erkennbarer Zielgruppe. Horst Kaiser und Ronald Bracker führen – mittlerweile in der 5. Auflage – auf 160 lesefreundlich gesetzten A4-Seiten durch die gängigen prozessualen Probleme im Rahmen der Staatsanwaltsklausur im Assessorexamen. Wer diese Klausur gerade nicht vor der Brust hat (= bis 1,5 Jahre vor dem Termin), für den ist das Buch nichts. Die Zielgruppe hingegen wird von diesem Werk profitieren.
Kaiser und Bracker behandeln selbstverständlich alle Teile der Klausur (A-Gutachten, Prozessuales Gutachten, Abschlussverfügung, Anklage). Einen Schwerpunkt bilden aber die fehlerhaften Beweiserhebungen und Verwertungsverbote im Rahmen des A-Gutachtens, denen 40 Seiten gewidmet werden. Die insgesamt 16 Problembereiche des prozessualen Gutachtens (das sachlich zuständige Gericht, örtliche Zuständigkeit, Anklage und besondere Verfahrensarten, §§ 154, 154a StPO, Privatklagedelikte, § 170 II, §§ 153, 153a StPO, Notwendige Verteidigung, Nebenklage, Untersuchungshaft, § 111a StPO, Beschlagnahme und Herausgabe, Verbindung und Trennung, Mitteilungen, Beweismittel sowie die Besetzung der Strafkammer in der HV) werden demgegenüber eher gleichmäßig auf jeweils nur zwei Seiten behandelt. Den Formalia der Abschlussverfügung und der Anklageschrift wird wieder mehr Raum gewährt.
Positiv hervorzuheben ist die Vielzahl (und das kann man durchaus wörtlich nehmen) von Formulierungshilfen und Prüfungsschemata in allen Teilen des Buches.
Wer plant, das Werk in einem Rutsch durchgzulesen, dem wird angesichts der konzentrierten Darstellung wohl rasch der Kopf schwirren. In jedem Fall ist eine gehörige Portion Vorwissen nötig, weil sich die Autoren darauf konzentrieren, wie man das vorausgesetzte StPO-Wissen clever in eine gefällige Klausur umwandelt.
Dabei arbeiten sie gern mit Negativ-Beispielen, die sie echten Klausurlösungen entnommen haben wollen. Dies ist hilfreich, zum einen, weil sich dann der Referendar, der eine ähnliche Formulierung gewählt hätte, weniger dumm fühlt und darüber hinaus, weil die Autoren zumeist, wenngleich mit dem leider unvermeidlich Repetitor-Besserwisserslang, diese Beispiele nicht im Regen stehen lassen sondern erläutern, warum die angeprangerte Wortwahl falsch/ungeeignet ist/zum sofortigen Durchfallen der Klausur führt (nur ein Spaß).
Angesichts dieser Referendarsorientierung verwundert es allerdings ein wenig, dass die Autoren auf Übungsbeispiele und konkretere „How-to’s“ verzichten. Zwar gibt es ein einleitendes Kapitel zur Examensvorbereitung (Klausuren üben…), der Klausurbearbeitung (lesbare Schrift, Korrekturrand…) und dem Gutachten selbst. Dieses ist aber sehr allgemein gehalten und vermittelt keine praktischen Fähigkeiten, z. B. darüber, wie man bspw. aus der Akte die nötigen Informationen zieht.
Zudem kommt das Problem der Wahlfeststellung (wie auch in dieser Rezension) etwas unvermittelt.
Darüber hinaus ist die Stärke des Buches, die Beschränkung auf die möglichst risikolose Bewältigung der StA-Klausur an mehreren Stellen auch eine Schwäche. So wie in den Repetitorien vermittelt wird, in Zweifelsfällen die law&order-Position zu vertreten, wirbt auch das Buch von Kaiser und Bracker für eine am Leser (also Korrektor) ausgerichtete Problembehandlung:
Der Beschuldigte gesteht
Diese Konstellation ist einfach zu bewältigen. Denn selten gibt es Anlass, an der Richtigkeit eines Geständnisses zu zweifeln. (S. 21)
Dies mag für die Klausur der Erfolgsweg sein. Aber was macht eine solche Ausbildungsliteratur mit den zukünftigen Staatsanwälten und Richtern? Ein kurzer Satz, der diesen Rat in die Wirklichkeit des Strafverfahrens, in der es einen Unzahl von Motiven für ein falsches oder zumindest teilweise falsches Geständnis gibt, einordnet, erscheint hier sinnvoll.
Ähnliches (allerdings von den Autoren schon besser eingeordnet) gilt für S. 94:
Der Beschuldigte kann sich aufgrund des Haftbefehls eines Amtsgerichts aber auch bereits in Untersuchungshaft befinden, sodass von Ihnen in Ihrer Rolle als Staatsanwalt zu prüfen ist, ob die Voraussetzungen für den weiteren Vollzug der Untersuchungshaft noch vorliegen. [… Dabei ist zu beachten:] Niemand sitzt wirklich in Haft! Sie müssen also nicht um jeden Preis der Rechtsstaatlichkeit zum Sieg verhelfen sondern sollen eine Examensklausur möglichst elegant und sicher lösen! Es muss für Sie also darum gehen, einen bereits existierenden Haftbefehl mit halbwegs tragbarer Begründung zu „halten“.
Im Ergebnis ist „Die Staatsanwaltsklausur im Assessorexamen“ eine sinnvolle Lektüre, mithilfe derer der Referendar an der Erfahrung der Autoren als Leiter von Referendararbeitsgemeinschaften und Repetitoriumskursen und an der Auswertung vieler Examensklausuren partizipieren kann. Zudem laden der überschaubare Umfang und die Leseransprache dazu ein, das Buch tatsächlich bis zum Ende durchzulesen. In diesem Sinne: Prosit!
Kaiser/Bracker: Die Staatsanwaltsklausur im Assessorexamen, 5. Aufl., Vahlen, München 2016. 19,80 €