§ 315b StGB – Betriebsgelände Teil des Straßenverkehrs
Straßenverkehr im Sinne gefährlicher Eingriffe in den Straßenverkehr gemäß § 315b StGB können nicht nur öffentliche Verkehrswege, sondern auch private Verkehrsflächen sein. Inwiefern private Verkehrsflächen Teil des Straßenverkehrs sind hängt hierbei jedoch stark vom Einzelfall ab, weshalb angesichts der zentralen Bedeutung des Begriffs des Straßenverkehrs im Rahmen der Straßenverkehrsdelikte ein deutliches Klärungsbedürfnis dahingehend besteht, unter welchen Umständen bestimmte private Verkehrsflächen einen Teil des Straßenverkehrs darstellen.
In Anbetracht dessen setzte sich der Bundesgerichtshof in seinem Urteil vom 4. Februar 2004 (4 StR 377/03) damit auseinander, wann das Betriebsgelände eines Unternehmens unter den Begriff des Straßenverkehrs gemäß § 315b StGB fällt.
Der Angeklagte fuhr mit seinem PKW am frühen Morgen auf dem Betriebsgelände seiner Arbeitsstelle in Richtung Ausfahrt. Hierbei nahm er seine Ehefrau wahr, welche dabei war, die vom Angeklagten genutzte Fahrbahn zu überqueren. Um seine Ehefrau für deren Trennungsabsichten zu bestrafen, beschloss der Angeklagte diese anzufahren. Hierbei nahm er möglicherweise tödliche Verletzungen der Betroffenen in Kauf. Der Angeklagte fuhr von hinten mit mindestens 35 km/h auf seine Ehefrau auf, welche diesen zuvor nicht wahrgenommen hatte. Die Betroffene erlitt infolge der Kollision erhebliche Verletzungen.
Das gesamte Tatgeschehen ereignete sich auf einer Straße, die auf einem Betriebsgelände lag. Das Landgericht, welches den Angeklagten wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr verurteilte, machte jedoch keine Feststellungen, welchem Personenkreis die Benutzung des Betriebsgeländes gestattet ist. Hieran anknüpfend kritisierte der BGH die Verurteilung des Angeklagten wegen § 315b StGB und konkretisierte, wann ein Betriebsgelände einen Teil des Straßenverkehrs darstellt.
Der Begriff des Straßenverkehrs im Sinne des § 315b StGB bezieht sich auf Vorgänge im öffentlichen Verkehrsraum. Nach ständiger Rechtsprechung ist ein Verkehrsraum dann öffentlich, wenn er entweder ausdrücklich oder mit stillschweigender Duldung des Verfügungsberechtigten für jedermann oder aber zumindest für eine allgemein bestimmte größere Personengruppe zur Benutzung zugelassen ist und auch so benutzt wird. Umfasst werden demnach auch Verkehrsflächen, deren Benutzung durch eine nach allgemeinen Merkmalen bestimmte größere Personengruppe ohne Rücksicht auf die Eigentumsverhältnisse am Straßengrund oder auf eine verwaltungsrechtliche Widmung durch den Berechtigten ausdrücklich oder faktisch zugelassen wird.
Maßgeblich für die Beurteilung ob ein Betriebsgelände dem öffentlichen Verkehrsraum zuzuordnen ist, sind die äußeren Gegebenheiten, die einen Rückschluss auf das Vorhandensein und den Umfang der Gestattung bzw. Duldung des allgemeinen Verkehrs durch den Verfügungsberechtigten zulassen. Wenn infolge zugangsbeschränkender Maßnahmen nur einem beschränkten Personenkreis wie den Betriebsangehörigen, wie mit einem besonderen Ausweis ausgestatteten Personen oder wie individuell zugelassenen Lieferanten und Abholern Zutritt zu dem Betriebsgelände gewährt wird, handelt es sich um eine nicht öffentliche Verkehrsfläche.
Entscheidendes Kriterium ist folglich, dass der Kreis der Zugangsberechtigten so eng umschrieben ist, dass er „deutlich aus einer unbestimmten Vielheit von Benutzern ausgesondert ist“ (vgl. BGHSt 16, 7, 11). Ein Betriebsgelände ist daher dann öffentlicher Verkehrsraum und Teil des Straßenverkehrs, wenn es der Allgemeinheit, das heißt einem nicht durch persönliche Beziehungen miteinander verbundenen Personenkreis, zugänglich ist.
In dem vorliegenden Urteil konkretisiert der BGH nicht nur die Anforderungen, welche an ein Betriebsgelände und dessen Zugehörigkeit zum Straßenverkehr zu stellen sind, sondern er arbeitet auch in anschaulicher Form heraus, welche Voraussetzungen an private Verkehrsflächen als Teil des Straßenverkehrs zu stellen sind. Wesentlich für die Zuordnung privater Verkehrsflächen zum Straßenverkehr gemäß § 315b StGB ist daher insbesondere, ob die Verkehrsfläche nach dem Willen des Verfügungsberechtigten nur für einen eng begrenzten und identifizierbaren Personenkreis oder für eine zumindest allgemein bestimmte Personengruppe zugänglich ist. Nur in letzterem Fall ist eine private Verkehrsfläche Teil des Straßenverkehrs.
Rechtsanwalt Dietrich, Fachanwalt für Strafrecht Berlin