Anforderungen an die Erheblichkeit einer sexuellen Handlung im Sexualstrafrecht
Der objektive Tatbestand des sexuellen Missbrauchs von Kindern gemäß § 176 Absatz 1 StGB ist unter anderem dann verwirklicht, wenn ein Täter eine sexuelle Handlung an einem Kind vornimmt. Gemäß § 184h Nr. 1 StGB sind sexuelle Handlungen nur solche, die im Hinblick auf das geschützte Rechtsgut von einiger Erheblichkeit sind.
Abhängig von der jeweils fraglichen Straftat bestehen unterschiedliche Anforderungen an die Erheblichkeit der Rechtsgutsbeeinträchtigung im Rahmen des § 184h Nr.1 StGB. In Anbetracht dessen hatte sich der Bundesgerichthof in seinem Beschluss vom 6. Mai 2020 (2 StR 543/19) damit zu befassen, ob bereits flüchtige Berührungen genügen, um die Erheblichkeitsschwelle für eine sexuelle Handlung im Sinne des § 176 Absatz 1 StGB zu überschreiten.
Bezüglich des Angeklagten kam es zu fünf Übergriffen gegenüber ihm unbekannten jungen Mädchen zwischen zehn und dreizehn Jahren im Bus bzw. in der Straßenbahn. Dabei fasste der Angeklagte jeweils an die bedeckte Brust der Mädchen, zum Teil streichelte er sie „mehrfach“ oder „einige Zeit“.
Das Landgericht sah sich im Zuge dessen dazu veranlasst, den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in fünf Fällen zu verurteilen und gab dem Bundesgerichtshof Anlass zur Besorgnis, dass es ohne Weiteres jegliche Berührung der Brust eines Mädchens über der Kleidung als eine § 184h Nr. 1 StGB entsprechende Handlung angesehen hat.
Dies stehe im Widerspruch zur Rechtsprechung des BGHs zur Erheblichkeit entsprechender Handlungen, denn das bloße Berühren des Geschlechtsteils über der Kleidung ist nicht ohne Weiteres als sexuelle Handlung im Sinne des § 184h Nr. 1 StGB anzusehen.
Als erheblich im Sinne von § 184h Nr. 1 StGB sind solche sexualbezogenen Handlungen zu werten, die nach Art, Intensität und Dauer eine sozial nicht mehr hinnehmbare Beeinträchtigung des im jeweiligen Tatbestand geschützten Rechtsguts besorgen lassen. Zur Feststellung der Erheblichkeit bedarf es einer Gesamtbetrachtung aller Umstände im Hinblick auf die Gefährlichkeit der Handlung für das jeweils betroffene Rechtsgut; unter diesem Gesichtspunkt belanglose Handlungen scheiden aus.
Bei Tatbeständen, die – wie § 176 Absatz 1 StGB – dem Schutz von Kindern dienen, sind an das Merkmal der Erheblichkeit geringere Anforderungen zu stellen als bei Delikten gegen die sexuelle Selbstbestimmung Erwachsener. Allerdings reichen auch hier kurze, flüchtige oder aus anderen Gründen unbedeutende Berührungen, insbesondere auch der bekleideten Brust, grundsätzlich nicht aus.
Im Rahmen der erforderlichen Gesamtbetrachtung ist bezüglich der Erheblichkeit folglich eine Einzelfallbetrachtung des Gerichts zu fordern. Die bloße Berührung eines bestimmten Körperteils, wie z.B. der Brust, überschreitet die von § 184h Nr. 1 StGB geforderte Erheblichkeitsschwelle dabei regelmäßig jedoch nicht. Andernfalls droht nämlich, dass entgegen dem Zweck des Erheblichkeitserfordernisses, regelmäßig auch Bagatellkontakte die Verwirklichung des Tatbestands von Sexualdelikten wie § 176 Absatz 1 StGB zur Folge haben.