Auch zukünftige Prognosen sind Tatsachen, über die getäuscht werden kann
Wenn man in Sachen wichtiger Entscheidungen einen Straftatbestand des Jahres küren müsste, dann wäre ein heißer Kandidat für das Jahr 2014 auf jeden Fall der Betrug nach § 263 StGB. Denn zum Betrug hatte der Bundesgerichtshof (BGH) einige spannende Fälle zu entscheiden, die mit Blick auf Praxis und Studium von enormer Wichtigkeit sind.
Angefangen hat die Serie dieser Entscheidungen unter anderem mit den sogenannten Abo-Fallen im Internet. Weiter ging es mit dem Wettbetrug in Fällen von Sportwetten, worauf sodann Betrug durch die sogenannten Ping-Anrufe und durch das Unterschreiben von Überweisungsträgern folgten. Kürzlich erst musste sich der BGH dann mit einem Abrechnungsbetrug zu Lasten von Krankenkassen durch eine Pflegedienstbetreiberin und mit Betrug durch die fehlende Belehrung eines Rechtsanwalts bei der Vereinbarung des Erfolgshonorars beschäftigen.
Eine ungewöhnlich hohe Anzahl an relevanten Entscheidungen, die anscheinend bis zum Ende des Jahres noch in die Höhe getrieben werden soll.
Denn erst letzten Monat veröffentlichte der BGH erneut ein wichtiges neues Urteil zum Betrugstatbestand. In dieser Entscheidung vom 8.10.2014 – 1 StR 359/13 ging es um Betrug bei mehreren Immobilienvermittlungen. Die Angeklagten hatten an überwiegend schon erheblich verschuldete Kunden Eigentumswohnungen zu überhöhten Preisen verkauft, indem sie gezielt falsche Angaben zu den Immobilien und zu deren Finanzierung gemacht hatten.
An sich kein Fall, von dem man noch nie etwas gehört hat. Aber er hat eben doch ein paar schöne Besonderheiten, die geradezu nach Examen schreien und von denen man als Student unbedingt mal gehört haben sollte. Von der Praxis natürlich mal ganz abgesehen.
Eine dieser Besonderheiten findet sich beim Merkmal der Täuschungshandlung, bei der bereits der Begriff der Tatsache Schwierigkeiten bereitet. Denn Tatsachen sind alle gegenwärtigen oder vergangenen Ereignisse oder Zustände, die dem Beweis zugänglich sind.
Zu unterscheiden ist zwischen Tatsachen, die auf die Außenwelt bezogen sind (äußere Tatsachen) und Tatsachen, die psychische Vorgänge betreffen (innere Tatsachen), wie etwa das Vorhandensein bestimmter Absichten, Überzeugungen oder Einstellungen.
Grundsätzlich keine Tatsachen sind Meinungen und Werturteile, es sei denn, dass sie ihrerseits einen unwahren Tatsachenkern enthalten.
Werden jedoch Äußerungen gemacht, die zukünftige Entwicklungen betreffen, so können diese an sich nicht ohne weiteres unter den Begriff der Tatsachen subsumiert werden. Dieses Problem hat sich für den BGH auch bei der Immobilienvermittlung gestellt, da die Angeklagten ihre Kunden über zu erwartende zukünftige Gewinne und über die vermeintliche Rentabilität des Geschäftes im Allgemeinen getäuscht haben.
Die Rechtsprechung differenziert in solchen Fällen der Prognoseerstellung wie folgt:
Enthält die Prognose Behauptungen über konkrete gegenwärtige oder vergangene Zustände oder Geschehnisse, so kann auch sie trotz ihres Zukunftsbezugs bzw. des mit ihr verbundenen Werturteils taugliche Tatsache im Sinne des § 263 Abs. 1 StGB sein. Dies sei etwa dann der Fall, wenn der Täter seine eigene Überzeugung vom Eintritt der Prognose vorspiegelt, da er hier über eine gegenwärtige innere Tatsache täusche.
Gleiches gilt nach der Urteilsbegründung des BGH, wenn die Prognose eine hinreichend bestimmte Behauptung über gegenwärtige tatsächliche Bedingungen ihres Eintritts enthält. Wird also über die der Prognose zugrunde gelegten Umstände getäuscht, so stellt dies auch eine Täuschung über Tatsachen dar.
Und so argumentierte der BGH auch in dem Fall der Immobilienvermittlung. Den Käufern wurden unrichtige Angaben über monatliche Lasten und zu erwartende Einnahmen vorgestellt, die sich auf die gegenwärtige Wirtschaftlichkeit des Immobilienkaufs zum Zeitpunkt des Vertragsschluss bezogen haben. Somit seien sie über die einer Nachprüfung zugänglichen gegenwärtigen Prognosegrundlagen, also Tatsachen getäuscht worden.
Das komplette Urteil zum Nachlesen mit weiteren wissenswerten Problemen, insbesondere zum Vermögensschaden, finden Sie: hier.