Autor: Rechtsanwalt Dietrich, Fachanwalt für Strafrecht - Berlin-Kreuzberg

Ist die Weitergabe der Kopie eines nicht anonymisierten Auszugs aus der Ermittlungsakte durch den Verteidiger an den von der Verteidigung beauftragten Gutachter gemäß § 203 Abs. 1 Nr. 1 strafbar?

Dem Urteil des Amtsgerichts Hamburg vom 22. Februar 2024 (242 Ds 120/23) lag folgender Fall zugrunde:  Der angeklagte Verteidiger eines Beschuldigten hatte im Verfahren seines Mandanten, dem ein Sexualdelikt zu Lasten eines Kindes vorgeworfen wurde,  Akteneinsicht erhalten. Die staatsanwaltschaftliche Akte umfasste eine vorläufige sachverständige Einschätzung einer Diplom-Psychologin, in welcher diese im Auftrag der Staatsanwaltschaft beurteilt hatte, ob die zeugenschaftlichen Angaben des Kindes im Rahmen zweier polizeilicher Anhörungen aus aussagepsychologischer Sicht belastbar waren. Der Angeklagte zweifelte die Einschätzung der Diplom-Psychologin an und entschied, nach Rücksprache mit seinem Mandanten, einen Aussagepsychologen als Sachverständigen mit der Überprüfung der vorläufigen sachverständigen Einschätzung der Diplom-Psychologin...

Schwere Brandstiftung an einem als Flüchtlingsunterkunft genutzten Gebäude

In den vergangenen Jahren hört bzw. liest man in den Nachrichten nicht selten von Bränden, die in Flüchtlingsunterkünften gestiftet worden sind. Abhängig von dem konkreten Fall kommt für die Auslöser des Brandes in diesen Fällen eine Strafbarkeit wegen einer der Brandschutzdelikte der §§ 306 ff. StGB in Betracht, also beispielsweise wegen (schwerer) Brandstiftung, besonders schwerer Brandstiftung, Brandstiftung mit Todesfolge oder fahrlässiger Brandstiftung.  So auch in dem der Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 14. November 2019 – 3 StR 408/19 – zugrundeliegenden Fall.  Der Fall hatte den folgenden Sachverhalt: Der aus dem Sudan geflüchtete Angeklagte war 2015 nach Deutschland gekommen und...

„Kalifatstaat“: Verstoß gegen ein Vereinigungsverbot

Ein zwar im Studium nicht besonders relevanter Paragraph, der aber in der Praxis interessant werden kann, ist der § 85 StGB. Dieser regelt den Verstoß gegen ein Vereinigungsverbot. Dabei kann sich zum einen strafbar gemacht werden, indem man als Rädelsführer oder Hintermann tätig ist, oder indem man sich als Mitglied in der Vereinigung betätigt. Eine solche verbotene Vereinigung stellt der „Kalifatstaat“ dar. Dabei handelt es sich um eine islamistische deutsche Organisation, die 2001 durch das Bundesministerium des Innern verboten wurde. Ziel des Kalifatstaats ist die Errichtung eines auf der Scharia, dem islamischen Recht, gegründeten islamischen Staatswesens. Mit dem Verstoß gegen...

Doppelt bzw. dreifach hält besser – wann besteht ein Anspruch des Beschuldigten auf mehrere Pflichtverteidiger?

Wer Beschuldigter in einem Strafverfahren ist, hat nach § 137 StPO das Recht, sich in jeder Lage des Strafverfahrens der Hilfe von bis zu drei Rechtsanwälten als Verteidiger zu bedienen. Der oder die sog. „Wahlverteidiger“ kann bzw. können von dem Beschuldigten frei ausgewählt und beauftragt werden, wobei die Vergütung durch den Beschuldigten erfolgt.  Es gibt jedoch auch Fälle, in denen die Mitwirkung eines Verteidigers nicht der Entscheidung des Beschuldigten überlassen wird, sondern zwingend notwendig ist. Man spricht dann von einer sog. „notwendigen Verteidigung“, die in § 140 StGB geregelt ist. Hintergrund der Regelung ist, dass im Strafprozess ein faires Verfahren...

Die Blutrache als niedriger Beweggrund

Was bewegt einen Menschen dazu, einen Mord zu begehen? Die Beantwortung dieser Frage ist für die Feststellung, welches der Mordmerkmale einschlägig ist, von meist zentraler Bedeutung. Totschlag und Mord unterscheiden sich dahingehend, dass für einen Mord eins der im § 211 Abs. 2 StGB genannten Mordmerkmale vorliegen muss. Neben Mordmerkmalen wie der Mordlust oder der Habgier gibt es noch das etwas unbestimmtere Mordmerkmal der niedrigen Beweggründe. Sonstige niedrige Beweggründe sind alle Tatantriebe, die nach allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefster Stufe stehen, durch hemmungslose, triebhafte Eigensucht bestimmt sind und deshalb besonders verachtenswert sind.  Ob auch ein Mord aus Blutrache einen niedrigen...

Stellt eine Nagelschere ein gefährliches Werkzeug dar? 

Wer einen Diebstahl begeht, bei dem er eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug bei sich führt, muss mit einer – im Vergleich zu einem „einfachen Diebstahl“ – erhöhten Strafe rechnen. So droht nicht nur eine Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren oder eine Geldstrafe, sondern eine Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten bis zu zehn Jahren.  Was dabei unter den Begriff des „anderen gefährlichen Werkzeugs“ fällt, ist nicht nur ein beliebtes Problem in juristischen Klausuren, sondern auch häufiger Bestandteil von Gerichtsurteilen.  So hatte sich beispielsweise auch das Kammergericht Berlin in seinem Beschluss vom 27. August 2019 – (4) 161 Ss 123/19...

§ 211 StGB Mord – Mordlust

§ 211 StGB stellt ein essenzielles Delikt, besonders im universitären Strafrecht dar. Dabei sind nicht alle Mordmerkmale für Klausuren und Praxis von gleicher Relevanz. In Klausuren wird die Heimtücke, Verdeckungsabsicht, Habgier, niedrigen Beweggründe und die Gemeingefährlichkeit gerne geprüft.  Dennoch kann ein Mord auch durch Mordlust begangen werden. § 211 (2) Mörder ist, wer Aus Mordlust (…) einen Menschen tötet. Definition: Mordlust wird als eine „unnatürliche Freude an der Vernichtung eines Menschenlebens“ beschrieben. Dies hängt nicht von einer „Unnatürlichkeit“ des Motivs ab, sondern von einer Verknüpfung von der Missachtung des Rechtsguts und des Tatvorsatzes. Kennzeichnend ist auch besonders die (subjektive) Austauschbarkeit des...