Kategorie: Strafprozessrecht

Richterliche Überzeugungsbildung nach Schluss der Beweisaufnahme?

Der Grundsatz der freien richterlichen Überzeugungsbildung ist einer der bedeutsamsten Grundsätze in der Strafprozessordnung, vor allem für den Angeklagten und das Vertrauen der Gesellschaft in die Rechtsstaatlichkeit unserer Strafverfahren. Dieser Grundsatz ist in § 261 StPO geregelt und normiert, dass das Gericht über das Ergebnis der Beweisaufnahme nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung entscheiden soll. Dieser Grundsatz stellt zwei eng miteinander verknüpfte Aspekte im Strafverfahren sicher: Zum einen sollen alle Verfahrensbeteiligten sich zu den Aspekten äußern können, die Gegenstand der Urteilsfindung werden. Vor allem der Angeklagte hat durch § 261 StPO auch das Recht auf rechtliches...

Anforderungen an den Haftgrund der „Fluchtgefahr“ in München und Berlin

Die Anordnung der Untersuchungshaft ist nur unter den engen Voraussetzungen der §§ 112 ff. StPO zulässig. Als Verteidiger eines inhaftierten Beschuldigten wird man regelmäßig auf die gerichtliche Überprüfung der Rechtmäßigkeit der U-Haft hinwirken, beispielsweise durch eine Haftbeschwerde oder einen Haftprüfungsantrag. Nicht selten wird ein überprüfter Haftbefehl dann auch aufgehoben, weil die Voraussetzungen der U-Haft nicht (mehr) gegeben sind. Sowohl das Oberlandesgericht (OLG) München als auch das Kammergericht in Berlin haben mit ihren lesenswerten Beschlüssen vom 20. Mai bzw. 24. Mai 2016 die jeweils angegriffenen Haftbefehle aufgehoben, weil nach Ansicht der Gerichte der Haftgrund der „Fluchtgefahr“ im jeweiligen Fall nicht vorlag....

EuGH: Doppelte Strafverfolgung wegen derselben Tat kann ausnahmsweise zulässig sein

Die Durchführung eines rechtsstaatlichen Strafverfahrens ist an die Einhaltung bestimmter Verfahrensgrundsätze gebunden. Dazu gehört auch der Umstand, dass einer Durchführung des Strafverfahrens keine Verfahrenshindernisse entgegenstehen dürfen. Ein solches Verfahrenshindernis kann sich aus dem Verbot der Doppelbestrafung bzw. dem Verbot der Doppelverfolgung (ne bis in idem) ergeben. Dieses Verbot ist einerseits in Artikel 103 Abs. 3 des Grundgesetzes (GG) verankert, findet sich aber ebenso in Artikel 50 der Europäischen Grundrechtecharta (GRCh) und Artikel 54 des Schengen-Durchführungs-Übereinkommens (SDÜ). Über die Frage, unter welchen Voraussetzungen ein solches „Europäisches Doppelverfolgungsverbot“ aus Art. 54 SDÜ i.V.m. Art. 50 GRCh vorliegt, hat nun der Europäische Gerichtshof...

Keine Verwertung von Erkenntnissen aus einer Telefonüberwachung im Bußgeldverfahren

Überwachungsmaßnahmen greifen tiefgehend in die Grundrechte des Beschuldigten ein und dürfen deshalb nur unter bestimmten Voraussetzungen angeordnet werden. Die Telekommunikationsüberwachung, um die es in diesem Beitrag geht, darf unter anderem nur erfolgen, wenn der Verdacht besteht, dass der Beschuldigte eine in § 100a StPO genannte Straftat, eine sog. Katalogtat, begangen hat. Doch was passiert mit den gewonnen Daten, wenn sich der Tatverdacht nicht bestätigt hat, die Erkenntnisse aber auf andere Rechtsverstöße hindeuten? In seinem aktuellen Beschluss vom 14.12.2015 – 2 Ss (OWi) 294/15 hat sich das Oberlandesgericht (OLG) Oldenburg mit dieser Frage hinsichtlich der weiteren Verwendung im Rahmen eines Bußgeldverfahrens...

Das sogenannte Teilschweigen und seine Indizwirkung

Dem Angeklagten steht es in jedem Verfahrensstadium frei, sich nicht zur Sache zu äußern. Macht er von seinem Schweigerecht Gebrauch, so darf das Gericht daraus keine nachteiligen Schlüsse ziehen. Liegt hingegen ein sogenanntes Teilschweigen vor, bei dem sich ein Angeklagter nur zu bestimmten Aspekten eines Geschehens äußert und andere Umstände der Sachverhaltsaufklärung verweigert oder schlichtweg verschweigt, kann das Tatgericht daraus nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) nachteilige Schlüsse für den Angeklagten ziehen. Dass dieser Grundsatz jedoch nicht uneingeschränkt gilt, hat der BGH in seinem Beschluss vom 16.04.2015 – 2 StR 48/15 bestätigt. In dem vom BGH zu verhandelnden Fall hatte...

Trotz ausgeprägter Drogenabhängigkeit zur Strafverteidigung fähig

Eine effektive Verteidigung vor dem Strafgericht kann für den Angeklagten oftmals zu einer positiven Wendung im Prozess führen. Von Gesetzes wegen ist die Mitwirkung eines Verteidigers für den Angeklagten beispielsweise gem. § 140 Abs. 1 Nr. 1, 2 StPO notwendig, wenn die Hauptverhandlung im ersten Rechtszug vor dem Oberlandesgericht oder dem Landgericht stattfindet oder wenn dem Angeklagten ein Verbrechen zur Last gelegt wird. Hat der Angeklagte nicht bereits selbst einen Verteidiger ausgewählt, wird in diesen Fällen ein sogenannter Pflichtverteidiger bestellt. Gegen „geringere“ Tatvorwürfe vor dem Amtsgericht oder auch im Berufungsverfahren vor dem Landgericht kann sich der Angeklagte  selbst verteidigen. Dennoch...

Floskelhafte Ablehnung eines Beweisantrags führt zur Aufhebung des Urteils

Im Strafprozess sind Beweisanträge der Verteidigung nicht für jedermann erfreulich. Während ein guter Beweisantrag für den Angeklagten die Wende im Prozess bringen kann, handelt er dem Gericht Mehrarbeit ein, die vor allem bei langen Verfahren mit vielen Beteiligten zu einer echten Belastung werden kann. Dennoch ist es die Aufgabe des Gerichts, jeden einzelnen Beweisantrag, egal wie absurd er auf den ersten Blick klingen mag, sorgfältig zu prüfen und eine Ablehnung ausreichend zu begründen. Inhaltsleere Aussagen, mit denen Beweisanträge abgeschmettert werden, können zur Aufhebung eines Urteils führen, wie ein aktueller Beschluss des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 10. November 2015 – 3 StR...