Kategorie: Untersuchungshaft

Fortdauer der Untersuchungshaft darf nicht lediglich mit dem Verweis auf das wesentliche Ergebnis der Ermittlungen oder frühere Haftfortdauerentscheidungen begründet werden

Die Untersuchungshaft ist für den Beschuldigten die schwerwiegendste Maßnahme, da sie erheblich in Freiheitsrechte eingreift, obwohl eine rechtskräftige Verurteilung noch nicht vorliegt. Aus diesem Grund gibt es die Möglichkeit, den Haftbefehl, der Grundlage der Untersuchungshaft ist, überprüfen zu lassen. Wird der Haftbefehl nicht aufgehoben, so kann gegen diese Entscheidung Haftbeschwerde eingelegt werden. Wurde Anklage vor einem Oberlandesgericht erhoben, so ist der Bundesgerichtshof (BGH) für Haftbeschwerden zuständig und bekommt dadurch die Möglichkeit, grundsätzliche Ausführungen zu den Voraussetzungen der Untersuchungshaft zu machen. Dies hat er mit seinem Beschluss vom 29. September 2016 – StB 30/16 getan, in dem er einer Haftbeschwerde stattgegeben...

Allein eine zu erwartende Strafhöhe von zwei Jahren begründet keine Fluchtgefahr

Es ist nicht selten, dass ein Haftbefehl aufgehoben werden muss, weil die strengen Voraussetzungen der §§ 112 ff. StPO nicht vorliegen. Erst kürzlich haben wir an dieser Stelle über zwei Entscheidungen berichtet, bei denen der Haftgrund der Fluchtgefahr genauer unter die Lupe genommen wurde. Nun hat das Kammergericht sich noch einmal ausführlich mit der Fluchtgefahr beschäftigt und eine lesenswerte Entscheidung zu den strengen Grundsätzen dieses Haftgrundes getroffen. Ausgangspunkt ist eine vor der Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Berlin erhobene Anklage der Staatsanwaltschaft, in der dem Angeklagten 35 bandenmäßig begangene Fälle der Steuerhinterziehung sowie zwei Fälle der Anstiftung zu einer falschen Versicherung an...

Anforderungen an den Haftgrund der „Fluchtgefahr“ in München und Berlin

Die Anordnung der Untersuchungshaft ist nur unter den engen Voraussetzungen der §§ 112 ff. StPO zulässig. Als Verteidiger eines inhaftierten Beschuldigten wird man regelmäßig auf die gerichtliche Überprüfung der Rechtmäßigkeit der U-Haft hinwirken, beispielsweise durch eine Haftbeschwerde oder einen Haftprüfungsantrag. Nicht selten wird ein überprüfter Haftbefehl dann auch aufgehoben, weil die Voraussetzungen der U-Haft nicht (mehr) gegeben sind. Sowohl das Oberlandesgericht (OLG) München als auch das Kammergericht in Berlin haben mit ihren lesenswerten Beschlüssen vom 20. Mai bzw. 24. Mai 2016 die jeweils angegriffenen Haftbefehle aufgehoben, weil nach Ansicht der Gerichte der Haftgrund der „Fluchtgefahr“ im jeweiligen Fall nicht vorlag....

U-Haft: Darf‘s auch ‘n bisschen mehr sein?

Bis zum Abschluss eines Strafverfahrens vergeht regelmäßig eine ganze Menge Zeit. Ein erstinstanzliches Urteil liegt nicht selten erst viele Monate nach der Tat vor. Problematisch wird ein sich in die Länge ziehendes Strafverfahren aber spätestens, wenn der Angeklagte die ganze Zeit in Untersuchungshaft sitzt. Mit einem solchen scheinbar nicht enden wollenden Verfahren musste sich das Kammergericht in Berlin auseinandersetzen. Ein Angeklagter hatte Beschwerde gegen seine auch lange nach Verkündung des landgerichtlichen Urteils fortdauernde Untersuchungshaft erhoben. Im Ergebnis gab das Kammergericht der Beschwerde statt und hob den Haftbefehl auf. In seinem Beschluss vom 03.11.2015 – 3 Ws 532/15 – 141 AR...

Heimtücke? Passt schon.

Wie vergangene Woche in Dortmund, so ist auch im Stuttgarter Tatort vom 25. Oktober 2015 schon wieder ein Mediziner für den Tod eines Menschen verantwortlich. Opfer ist der verurteilte Straftäter Jörg Albrecht. Dieser hatte einst ein junges Mädchen sexuell missbraucht und dadurch sogar ihren Tod herbeigeführt. Albrecht wurde deshalb wegen Vergewaltigung mit Todesfolge gem. § 178 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 15 Jahren verurteilt. Kaum hat er nach Verbüßen seiner Strafe das Gefängnis verlassen, nehmen die Eltern des getöteten Mädchens Rache. Simone Mendt (Michaela Caspar), die Mutter, gibt sich als Albrechts Bewährungshelferin aus und lockt Albrecht auf diese Weise in...

Da möchte wohl jemand für einen Sechser Käse haben…

Vor dem Amtsgericht Neuruppin wurde ein Strafverfahren gegen zwei Angeklagte geführt. Mein Mandant war in Freiheit, der andere Angeklagte saß in Untersuchungshaft. Und wer in Untersuchungshaft schmort, der kommt manchmal auf Ideen. Vor dem Hauptverhandlungstermin nahm ich ergänzende Akteneinsicht und fand in den Akten ein Schreiben des inhaftierten Angeklagten an das Amtsgericht, das ich – in Inhalt und Orthographie unverändert – wiedergeben möchte: Sehr gerrte Damen u Herren, Ich möchte sie fragen wen ich ein Erliches Geständnis bei ihnen vorlege, kann ich dann mit einer Strafmelderung rechnin? Da ich es nicht Einsehen tute das ich alein zur Rechenschaft gezogen werde....

Der Freispruch am Ende des Strafverfahrens: Zahlen, bitte!

Kürzlich stieß ich in der April-Ausgabe des Strafverteidigers (immerhin die April-Ausgabe aus diesem Jahr..) auf einen kurzen Aufsatz von Jörg Kinzig und Thaya Vester, in dem sie über allererste Forschungsergebnisse ihrer DFG-geförderten Studie zum Freispruch berichten. Der Artikel ist (leider nur mit entsprechendem Zugang) hier einzusehen. Kinzig und sein Team interessiert, wie und warum es zu Freisprüchen kommt, nachdem bereits Untersuchungshaft vollstreckt worden ist. Denn obgleich „U-Haft Rechtskraft schafft“, enden einige Hauptverfahren trotz vollstreckter U-Haft mit einem Freispruch – im Jahr 2012 zum Beispiel in 364 Fällen (bzw. bei 364 Angeklagten). Herzstück der Studie soll eine Analyse von ca. 700...