Darf die wahrheitswidrige Notwehrbehauptung eines Angeklagten straferschwerend gewertet werden?
Bei der Strafzumessung hat das Gericht häufig zu entscheiden, ob strafmildernde oder straferschwerende Gründe vorliegen. Der Bundesgerichtshof äußerte sich in seiner Entscheidung vom 19. Dezember 2018 (3 StR 391/18) zu der Frage, ob auch eine wahrheitswidrige Notwehrbehauptung dem Angeklagten straferschwerend zur Last gelegt werden darf.
Der Entscheidung lag der folgende Sachverhalt zugrunde:
Nach den Feststellungen des Landgerichts Duisberg schuldete der Angeklagte dem Geschädigten 20 € aus dem Kauf einer Hose. Der Geschädigte stellte den Angeklagten daher zur Rede und forderte ihn auf, den restlichen Kaufpreis zu bezahlen. Der Angeklagte weigerte sich jedoch. Der Geschädigte war hierüber sehr verärgert und rangelte daher zunächst mit dem Angeklagten, dem es aber gelang, diesen wegzuschubsen. Aus Verärgerung versetzte der Geschädigte dem Angeklagten dann eine schmerzende Ohrfeige. Zu einem weiteren Angriff setzte er nicht an. Dennoch stieß der Angeklagte dem Geschädigten daraufhin sein Klappmesser in den Oberbauch und durchtrennte innerhalb der Wunde willentlich den linksseitigen Bauchmuskel. Bei seiner Vernehmung gab der Angeklagte wahrheitswidrig an, der Geschädigte habe ihn zuvor unter der Vornahme mehrerer Schläge körperlich verletzt.
Das Landgericht Duisberg hatte den Angeklagten daher wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und neun Monaten verurteilt. Bei der Strafzumessung hatte das Landgericht einerseits die Voraussetzungen des § 213 Alt. 1 StGB entsprechend abgelehnt, da der Angeklagte durch seine Ankündigung, den Kaufpreis nicht zu bezahlen, die Ohrfeige herausgefordert haben soll. Andererseits hatte es nach Abwägung der strafmildernden Umstände mit den straferschwerenden Gründen keinen minder schweren Fall nach § 224 Abs. 1 Hs. 2 StGB angenommen und dabei insbesondere die wahrheitswidrige Notwehrbehauptung zu Lasten des Angeklagten gewürdigt.
Dem schloss sich der Bundesgerichtshof jedoch nicht an.
Bereits die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte sei nicht ohne eigene Schuld in die Auseinandersetzung mit dem Geschädigten geraten, so dass § 213 Alt. 1 StGB entsprechend nicht anwendbar sei, begegne durchgreifenden Bedenken. Die Ohrfeige sei hier gerade nicht als eine angemessene Reaktion des Geschädigten auf die Leistungsverweigerung des Angeklagten anzusehen. Es sei vielmehr überzogen und nicht mehr verständlich, dass der Geschädigte zum Durchsetzen seiner Forderung Gewalt ausübte. Die Ohrfeige sei daher als ausreichend schwere Provokation i.S.d. § 213 StGB zu werten.
Auch sei es einem Angeklagten grundsätzlich nicht verwehrt, sich gegen einen Vorwurf der Körperverletzung mit der Behauptung zu verteidigen, er habe in Notwehr gehandelt. Die Grenzen eines zulässigen Verteidigungsverhaltens werden auch dann nicht überschritten, wenn damit Anschuldigungen gegen Dritte verbunden sind. Kommen aber Umstände hinzu, nach denen sich dieses Verteidigungsverhalten als Ausdruck einer zu missbilligenden Einstellung darstellt, könne eine wahrheitswidrige Notwehrbehauptung straferschwerend gewertet werden.
Die unzutreffende Behauptung des Angeklagten enthalte vorliegend jedoch keine über das Leugnen eigener Schuld hinausgehende, herabwürdigende Ehrverletzung des Geschädigten. Auch eine über das zulässige Verteidigungsverhalten hinausgehende rechtsfeindliche Gesinnung sei der Aussage nicht zu entnehmen, weshalb die Falschbelastung daher insgesamt nicht zu Lasten des Angeklagten hätte berücksichtigt werden dürfen.
Auf die Revision des Angeklagten wurde das Urteil des Landgerichts Duisburg daher im Strafausspruch aufgehoben und zu neuer Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.
Rechtsanwalt Steffen Dietrich, Strafverteidiger aus Berlin-Kreuzberg