Das Einlösen eines versehentlich zugesandten Online-Gutschein als Straftat?
(Darstellung einer Entscheidung des Landgerichts Gießen vom 29.5.2013 – 7 Qs 88/13)
Früher gab es Gutscheine nur in Papierform. Heute können solche auch über das Internet gekauft und per Mail versandt werden. Was passiert aber, wenn nun dieser Gutschein versehentlich an eine falsche E-Mailadresse gesendet wird und der Emfänger den Gutschein einlöst?
Macht man sich strafbar?
Diese Frage musste sich das Landgericht Gießen kürzlich stellen, als es über eine Beschwerde der Staatsanwalt zu entscheiden hatte.
Das Ergebnis vorweg: Straflosigkeit.
Aber erst einmal von vorne: Die Dame, die bei der Staatsanwaltschaft Anzeige erstattet hatte, kaufte und bezahlte bei einem Internet-Anbieter einen Geschenkgutschein im Wert von 30 €, den sie per Internet an die zu Beschenkende versenden wollte. Bei der Eingabe der Email-Adresse unterlief ihr ein Tippfehler, sodass der Gutschein an eine andere Person verschickt wurde. Diese unbekannte Person nutzte ihre Chance und löste den für sie erkennbar nicht bestimmten Online-Gutschein auf der Seite des Internet-Anbieters ein.
Um die Person der Strafverfolgung wegen ausfindig zu machen, beantragte die Staatsanwaltschaft einen Durchsuchungsbeschluss der Räumlichkeiten des Online-Anbieters, um auf diese Weise die zu der Email gehörenden Daten zu erlangen, mit der sie wiederum eine Identifizierung der Gutschein einlösenden Person erreichen wollte. Der Durchsuchungsbeschluss wurde jedoch vom Amtsgericht abgelehnt, wohingegen die Staatsanwaltschaft Beschwerde beim Landesgericht Gießen einreichte.
Dieses gab dem Amtsgericht nun Recht und bestätigte es in der Annahme, dass eine Strafbarkeit der unbekannten Person nicht in Betracht kommt, da ihr Verhalten keinen Tatbestand erfüllt. Zum Nachprüfen hier folgende, vom Landgericht in Betracht gezogene Straftatbestände:
1. Die Unterschlagung nach § 246 StGB
Das bei der Prüfung der Unterschlagung auftretende Problem ist relativ offensichtlich. § 246 StGB fordert die rechtswidrige Zueignung einer fremden beweglichen Sache. Da von dem strafrechtlichen Sachbegriff jedoch nur körperliche Gegenstände erfasst werden, hat der Online-Gutschein keine strafrechtliche Sachqualität. Er ist lediglich ein virtueller Gutschein.
2. Untreue nach § 266 StGB
Auch eine Strafbarkeit wegen Untreue hat das Landgericht in seiner Entscheidung kurz angesprochen. Das Problem hierbei war die für § 266 StGB erforderliche Vermögensbetreuungspflicht, die verletzt werden muss. Eine solche Pflicht sei für die Gutschein einlösende Person jedoch weder gegenüber der Anzeigeerstatterin noch gegenüber des Online-Anbieters oder der zu Beschenkenden gegeben. Eine Strafbarkeit wegen Unterschlagung musste somit mangels Vermögensbetreuungspflicht ausgeschlossen werden.
3. Der Betrugstatbestand des § 263 StGB
Derjenige, der einmal Jura studiert hat kann sich womöglich daran erinnern, dass der Betrugstatbestand nicht auf den technischen Fortschritt der Zeit ausgelegt wurde und daher § 263a StGB eingeführt werden musste. § 263 StGB erfasst nämlich nur solche Fälle, in denen eine natürliche Person getäuscht wird. Da beim Einlösen des Online-Gutscheins jedoch ein Programm getäuscht wird, scheidet eine Strafbarkeit wegen Betrugs aus.
4. Strafbarkeit wegen Computerbetrugs gemäß § 263a StGB
Schließlich prüfte das Landgericht noch, ob das unbefugte Einlösen eines Online-Gutscheins ein Computerbetrug sein könnte, wobei es zunächst die Tatvariante der Beeinflussung des Ergebnisses eines Datenverarbeitungsvorgangs durch unbefugte Verwendung von Daten nach § 263a Abs. 1 Var. 3 StGB in Betracht zog. Dazu führte es aus, dass die Verwendung von Daten zwar unbefugt ist, wenn sie gegenüber einer natürlichen Person Täuschungscharakter hat. Da hierzu allerdings allein auf die Berechtigte des Datenverarbeitungsvorgangs, also den Gutschein ausstellenden Online-Anbieter, abgestellt werden könne, werde die unberechtigte Datenverwendung im Verhältnis zu einem Dritten nicht erfasst.
Außerdem habe die unbekannte Person mit Eingabe des Gutschein-Codes nicht über eine entsprechende Berechtigung getäuscht, da durch die Einlösung nicht zugleich konkludent eine entsprechende materielle Berechtigung behauptet werde. Dies zeige sich daran, dass ein Mitarbeiter der Firma sich bei Vorlage des Gutscheins in Papierform keine Gedanken über die Berechtigung des Gutscheininhabers gemacht, sondern lediglich geprüft hätte, ob der Gutschein überhaupt an den Einlöser ausgegeben wurde, was im vorliegenden Fall hätte bejaht werden müssen.
Auch eine Täuschung durch Unterlassen verneinte das Landgericht, da eine betrugsspezifisch täuschende Verwendung des Gutscheins nur gegeben wäre, wenn die unbekannte Person auf die fehlerhafte Zusendung des Gutscheins hätte hinweisen müssen. Eine solche Offenbarungspflicht im Sinne einer Garantenpflicht nach § 13 StGB ließ sich jedoch nicht begründen.
Ferner prüfte das Landgericht auch die Beeinflussung durch sonstige unbefugte Einwirkung gemäß § 263a Abs. 1 Var. 4 StGB, die es trotz seiner Auffangfunktion auch nicht als einschlägig erachtete. Das datenverarbeitungstechnisch richtige Einlösen eines Gutscheins stelle keine derartige Manipulation dar, weil weder auf die Anweisung für den Verarbeitungsvorgang manipulativ eingewirkt noch der maschinelle Ablauf des Programms verändert werde.
So konnte das lediglich im Verhältnis zur Anzeigeerstatterin materiell unberechtigte Verwenden des Gutscheins auch nicht von der Auffangvariante des § 263a StGB erfasst werden.
Es macht sich also niemand strafbar, der einen versehentlich erhaltenen Online-Gutschein einlöst. Eine gute und eindeutige Entscheidung, wenn man, anders als die Staatsanwaltschaft es hier getan hat, das Strafrecht als ultima ratio versteht.
Rechtsanwalt Dietrich, Fachanwalt für Strafrecht aus Berlin