Deal or no Deal
In der Rintheimer Querallee 11 in Karlsruhe wird seit 10.00 Uhr in der Früh die Zukunft des bundesdeutschen Strafverfahrens verhandelt.
Am Amtssitz „Waldstadt“ versammelt sich heute der zweite Senat des Bundesverfassungsgericht gemeinsam mit dem Präsidenten des Bundesgerichtshofs, dem Generalbundesanwalt sowie Vertretern des Deutschen Richterbundes, der Neuen Richtervereinigung, der
Bundesrechtsanwaltskammer und des Deutschen Anwaltvereins sowie aktiven Richtern der Instanzgerichte, um die Vereinbarkeit des § 257c StPO, der in meiner Gesetzessammlung die nichtamtliche Überschrift „Verständigung zwischen Gericht und Verfahrensbeteiligten“ trägt, mit dem Grundgesetz zu überprüfen. Es wird bestimmt gedealt.
Den Stein ins Rollen haben drei Verfassungsbeschwerden gegen strafrechtliche Verurteilungen gebracht, denen jeweils eine Urteilsabsprache zugrunde liegt, die das Gericht, der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft gemäß § 257c III 4 StPO über das Ergebnis des Verfahrens getroffen hatten.
Absprachen über den weiteren Fortgang und das Ergebnis des Verfahrens sind im heutigen Strafprozess keineswegs die Ausnahme. Ob sie jedoch zulässig sind, wird seit den 1980er Jahren kontrovers diskutiert. In der Strafprozessordnung war der Deal zunächst nicht enthalten, das kann man bereits an dem Buchstabenzusatz des § 257c sehen. Da sich die Justiz jedoch aufgrund schlechter finanzieller Ausstattung einer Verfahrensflut ausgesetzt sah, entwickelte sie die Verfahrensabsprache, um komplizierte (Wirtschafts-)Strafverfahren nicht über Jahre führen zu müssen und dadurch einer Lähmung des betreffenden Spruchkörpers zuvorzukommen. Im Gegenzug für ein verfahrensverkürzendes, auch nur schmales, Geständnis des Beschuldigten wird ein meist ordentlicher Strafrabatt in Aussicht gestellt. Wohlgemerkt: Hat der Beschuldigte bereits gegenüber der Polizei alles gestanden, sitzt er am Verhandlungstisch mit leeren Taschen.
Der BGH hatte diese der StPO nicht inhärenten Absprachen wiederholt reglementiert und letztlich an den Gesetzgeber appelliert, eine gesetzliche Regelung zu schaffen (BGHSt 43, 195 und BGHSt 50, 40). Dem kam das Parlament mit Schaffung des § 257c StPO durch das Gesetz zur Regelung der Verständigung im Strafverfahren vom 29. Juli 2009 (BGBl I S. 2353) schließlich nach.
Offensichtlich berührt der Deal zahlreiche durch die Verfassung geschützte Rechte, so unter anderem die Selbstbelastungsfreiheit, Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG, des Rechts auf ein faires Verfahren, Art. 20 Abs. 3 i. V. m.
Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG, und das Schuldprinzip, Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs.
1 und Art. 20 Abs. 3 GG. Fraglich ist jedoch, ob dies schon für die Feststellung der Verfassungswidrigkeit ausreicht.
Interessant ist vor allem die Verfassungsbeschwerde zweier ehemaliger Polizisten, die in zwei Fällen Zigaretten beschlagnahmt und sodann für sich genutzt haben sollen. Aufgrund der beigeführten Dienstwaffe wäre das ein schwerer Raub gemäß § 250 I Nr. 1 lit. a StGB. Darauf steht Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahre. Das Gericht drohte für den Fall, dass ein Geständnis ausbleiben würde und sich die Vorwürfe dennoch bestätigen sollten, eine Gesamtfreiheitsstrafe von mindestens vier Jahren an. Bei einem Geständnis wurden zwei Jahre zur Bewährung versprochen. Eine dicke Sanktionsschere.
Die Polizisten ließen sich hierauf ein, eine echte Beweisaufnahme fand nicht mehr statt. Die Polizisten wurden verabredungsgemäß zu Bewährungsstrafen verurteilt.
Zwei Jahre mit Bewährung klingt bei schwerem Raub zunächst nach einer überaus freundlichen Rechtsfolge. Andererseits bleibt nun unklar, zu welchem Ergebnis eine vernünftige Beweisaufnahme geführt hätte. Eine Weiterbeschäftigung im Polizeidienst ist zudem auch nicht mehr möglich.
Die Polizisten widerriefen ihre Geständnisse und äußern, sie seien durch die Strafandrohung unzulässig unter Druck gesetzt worden, ein Geständnis abzulegen. Kein schöner Vorwurf in einem Rechtsstaat.
Das Verfassungsgericht wird nun die betroffenen Rechtsgüter (Schuldprinzip, Unschuldsvermutung, Selbstbelastungsfreiheit, fair trial) gegen das Gebot der Aufrechterhaltung einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege und das Beschleunigungsgebot unter Berücksichtigung einer allgemeinen Entwicklung hin zu konsensualen Elementen in einem vom Offizialprinzip beherrschten Strafverfahren (vgl. §§ 153 ff., Täter-Opfer-Ausgleich, Strafbefehlsverfahren) abwägen.
Eine Entscheidung wird 2013 erwartet.
* Spiegel online kam bzgl. der Überschrift leider auf die gleiche Idee.
** Unter Nutzung der PM des BVerfG.