Die Blutrache als niedriger Beweggrund
Was bewegt einen Menschen dazu, einen Mord zu begehen? Die Beantwortung dieser Frage ist für die Feststellung, welches der Mordmerkmale einschlägig ist, von meist zentraler Bedeutung. Totschlag und Mord unterscheiden sich dahingehend, dass für einen Mord eins der im § 211 Abs. 2 StGB genannten Mordmerkmale vorliegen muss. Neben Mordmerkmalen wie der Mordlust oder der Habgier gibt es noch das etwas unbestimmtere Mordmerkmal der niedrigen Beweggründe.
Sonstige niedrige Beweggründe sind alle Tatantriebe, die nach allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefster Stufe stehen, durch hemmungslose, triebhafte Eigensucht bestimmt sind und deshalb besonders verachtenswert sind.
Ob auch ein Mord aus Blutrache einen niedrigen Beweggrund darstellt, hat der Bundesgerichtshof (6 StR 365/23) in seinem Beschluss vom 16. April 2024 entschieden. Der Angeklagte suchte mit weiteren Personen den Geschädigten auf, um Geld einzutreiben. Dabei ging es dem Angeklagten jedoch auch darum, die durch die Zahlungsweigerung beeinträchtigte Familienehre wiederherzustellen. Während des Treffens bedrohte der Bruder des Angeklagten den Nebenkläger mit einer Schusswaffe. Daraufhin kam es zu einer unübersichtlichen Situation, da von beiden Seiten Unterstützer eingriffen. Etwas später rannte der Geschädigte vom Angeklagten weg, als sich zuerst der Vater des Geschädigten dem Angeklagten in den Weg stellte. Dabei verletzte der Angeklagte diesen mit einem Messer. Anschließend verletzte er den Geschädigten durch Messerstiche tödlich.
Nachdem das Landgericht Hannover dies als Totschlag eingestuft hatte, wies der Bundesgerichtshof darauf hin, dass das Landgericht bei einer gebotenen Prüfung des Mordmerkmals der niedrigen Beweggründe möglicherweise zu einer Strafbarkeit wegen Mordes gelangt wäre. Demnach wollten die Angeklagten zwar vermeintlich das geschuldete Geld eintreiben, jedoch kam es den beiden in hohem Maße darauf an, die Familienehre wiederherzustellen und den Geschädigten zu bestrafen. Eine Tötung aus Blutrache ist nach Ansicht des Bundesgerichtshofes regelmäßig als besonders verwerflich und sozial rücksichtslos anzusehen. Der Täter erhebe sich durch das selbst gefällte Todesurteil über die Rechtsordnung und einen anderen Menschen.
Rechtsanwalt Steffen Dietrich, Strafverteidiger aus Berlin-Kreuzberg