Die Flucht vor der Polizei als verbotenes Kraftfahrzeugrennen?
Als Reaktion auf mehrere tödlich verlaufene Autorennen im Straßenverkehr, darunter auch der populäre Kudammraser-Fall, bei welchem ein Autorennen in der Berliner Innenstadt zu dem Tod eines unbeteiligten Mannes geführt hatte, hatte der Gesetzgeber im August 2017 den Tatbestand des verbotenen Autorennens gemäß § 315d in das Strafgesetzbuch eingefügt. Die Teilnahme an einem Autorennen wird mit einer Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren und bei der Verursachung des Todes einer Person mit einer Freiheitsstrafe bis zu zehn Jahren bestraft.
Konkret heißt es in § 315d StGB, dass bestraft wird, wer im Straßenverkehr ein nicht erlaubtes Kraftfahrzeugrennen ausrichtet oder durchführt (Nr. 1) oder als Kraftfahrzeugführer an einem nicht erlaubten Kraftfahrzeugrennen teilnimmt (Nr. 2) oder sich als Kraftfahrzeugführer mit nicht angepasster Geschwindigkeit und grob verkehrswidrig und rücksichtslos fortbewegt, um eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen (Nr. 3).
Dabei muss es sich bei dem Kraftfahrzeugrennen grundsätzlich um einen Wettbewerb zur Erzielung von Höchstgeschwindigkeiten handeln. Entscheidend ist die möglichst schnelle Fortbewegung als Ziel dieses Rennens.
Hierzu hat das Oberlandesgericht Stuttgart mit Beschluss vom 04. Juli 2019 (4 Rv 28 Ss 103/19) entschieden, dass auch die Flucht vor der Polizei unter den Tatbestand des § 315d StGB, verbotene Kraftfahrzeugrennen, fallen kann.
Dem Beschluss lag ein Verfahren vor dem Amstgericht Münsingen zugrunde, in welchem der Beschuldigte wegen verbotenen Kraftfahrzeugrennens zu einer Geldstrafe verurteilt worden ist. Hintergrund war, dass sich der Beschuldigte mit seinem Pkw einer Verkehrskontrolle entziehen wollte. Die Polizeistreife hatte dem Beschuldigten zuvor das Haltesignal „Stopp Polizei“ angezeigt, woraufhin dieser sein Fahrzeug auf die höchstmögliche Geschwindigkeit beschleunigte. Um die ihn mit Blaulicht, Martinshorn und Haltesignal verfolgenden Polizeibeamten abzuhängen, hatte der Beschuldigte seine Fahrt innerorts bei zulässigen 50 km/h mit einer Geschwindigkeit von mindestens 140 km/h und außerorts bei zulässigen 70 km/h mit Geschwindigkeiten bis zu 180 km/h fortgesetzt. Dabei habe er eine rote Ampel missachtet, die Gegenfahrbahn befahren und an unübersichtlichen Stellen die Kurven geschnitten. Die Belange anderer Verkehrsteilnehmer, so hatte das Amtsgericht festgestellt, waren dem Beschuldigten gleichgültig. Aufgrund des Risikos für andere Verkehrsteilnehmer musste die Polizei ihre Verfolgung abbrechen.
Interessant ist hier die Feststellung durch das Oberlandesgericht, dass auch die Polizeiflucht von einem spezifischen Renncharakter geprägt sei. Auch in Fällen der Polizeiflucht könne eine Strafbarkeit gemäß § 315d StGB vorliegen, sofern auch die weiteren Voraussetzungen im Einzelfall festgestellt werden können.
Der Beschuldigte, so argumentierte das Gericht, habe in der Absicht gehandelt, eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen. Es sei dabei nicht erforderlich, das Fahrzeug auf die objektiv höchstmögliche Geschwindigkeit zu beschleunigen oder die technischen bzw. physikalischen Grenzen des Kraftfahrzeugs zu erreichen.
Maßgeblich sei vielmehr die Absicht des Fahrers, die nach den örtlichen Begebenheiten oder persönlichen Fähigkeiten des Fahrers mögliche relative Höchstgeschwindigkeit zu erreichen. Diese Absicht muss allerdings nicht der Haupt- oder Alleinbeweggrund für die Fahrt sein, andernfalls fiele die Polizeiflucht nicht unter den Tatbestand der verbotenen Kraftfahrzeugrennen.
Solche Fälle der Flucht vor der Polizei seien aber gerade aufgrund der mit den hohen Geschwindigkeiten verbundenen Risiken mit Wettbewerbssituationen vergleichbar, selbst wenn hierbei das Ziel des Wettbewerbs nicht im Sieg, sondern in der gelungenen Flucht liegt. Die Motive für die Absicht eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen, müssten im Rahmen des § 315d StGB unerheblich sein, sofern eine gleiche abstrakte Gefährdung wie bei einem sportlichen Wettbewerb und ein spezifischer Renncharakter vorliegt.
Das Oberlandesgericht hat durch den Beschluss klarstellen können, dass auch die Flucht vor der Polizei dem neuen Straftatbestand unterfallen kann. Wer sich einer Polizeikontrolle entzieht und die Flucht ergreift, riskiert daher eine hohe Geldstrafe oder sogar eine mehrjährige Freiheitsstrafe.
Rechtsanwalt Steffen Dietrich, Fachanwalt für Strafrecht aus Berlin
Das OLG hätte auch gleich schreiben können, „wir wenden die Strafnorm analog an“. Da eine solche Dreistigkeit aber sofort erkennbar wäre, versucht man, eine Flucht unter den Begriff „Kraftfahrzeugrennen“ zu subsumieren. Dass dies weder dem Wortlaut, noch der ratio legis, noch dem Willen des Gesetzgebers entspricht, ignoriert das OLG.