Ein spontaner Mordentschluss
Der Straftatbestand des Mordes mit seinen Mordmerkmalen begegnet einem immer wieder in den Strafrechtsvorlesungen. Eines dieser Mordmerkmale ist die Heimtücke, welche der zweiten Gruppe der Mordmerkmale angehört. Heimtückisch handelt derjenige, der die Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers bewusst zur Tötung ausnutzt.
In seinem Beschluss vom 29. Juni 2022 musste sich der Bundesgerichtshof (1 StR 127/22) mit dem maßgeblichen Zeitpunkt für das Vorliegen der Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers beschäftigen.
Im hiesigen, der Entscheidung des Bundesgerichtshofes zugrundeliegenden Sachverhalt sah der Angeklagte in der Nacht eine ihm unbekannte Frau und entschloss sich spontan, sie anzugreifen und möglicherweise auch zu töten.
Nachdem er die Straßenseite gewechselt hatte, griff der Angeklagte die Geschädigte mit einem Stichwerkzeug an, sodass sie schließlich über 20 Stichverletzungen erlitt und diesen erlag. Erst im späteren Verlauf des Angriffs kamen Zeugen hinzu.
Das Landgericht Stuttgart verurteilte den Angeklagten daraufhin wegen heimtückischen Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe, obwohl nicht zu klären war, wie der Beginn des Angriffs ablief. Erst der spätere Verlauf konnte durch Zeugenaussagen geklärt werden.
Für einen Schuldspruch wegen Mordes reichen die getroffenen Feststellungen nach Auffassung des Bundesgerichtshofes jedoch nicht. Demnach ist arglos, wer bei Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs nicht mit einem gegen seine körperliche Unversehrtheit gerichteten erheblichen Angriff rechnet.
Im vorliegenden Fall konnte jedoch nicht geklärt werden, wie sich dieser maßgebliche erste Angriff genau abspielte. Es ist offen geblieben, ob es zu einem Gespräch oder einem Streit vor dem ersten Angriff kam und auch ist es unklar, ob die Geschädigte eine Möglichkeit hatte, zu fliehen oder um Hilfe zu rufen.
So stellt der Bundesgerichtshof klar, dass zwar die Täterschaft des Angeklagten nicht zu beanstanden ist, jedoch können die bisherigen Feststellungen des Landgerichtes aufgrund der aufgezeigten Rechtsfehler nicht bestehen bleiben und es wird zu neuer Verhandlung verwiesen.
Rechtsanwalt Steffen Dietrich, Strafverteidiger aus Berlin-Kreuzberg