Heimtückemord durch Autoangriff trotz aufheulenden Motors?

Die Einstufung eines Tötungsdelikts als Mord im Sinne des § 211 Strafgesetzbuch (StGB) setzt insbesondere das Vorliegen bestimmter Mordmerkmale vor. Nachdem wir uns vor ein paar Wochen bereits dem Mordmerkmal der sonst niedrigen Beweggründen gewidmet haben, soll der Fokus des heutigen Beitrags auf einem Mordmerkmal liegen, das sowohl im Jura-Studium als auch in der Praxis immer wieder eine große Rolle spielt: Dem Mordmerkmal der sog. Heimtücke.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs tötet heimtückisch, wer in feindlicher Willensrichtung die Arg- und dadurch bedingte Wehrlosigkeit des Tatopfers bewusst zu dessen Tötung ausnutzt. Arglos ist das Tatopfer, wenn es bei Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs nicht mit einem gegen sein Leben oder seine körperliche Unversehrtheit gerichteten schweren oder doch erheblichen Angriff rechnet.

Liegen die Voraussetzungen der Heimtücke vor, droht eine Verurteilung wegen Mordes gemäß § 211 StGB, wobei mit einer lebenslangen Freiheitsstrafe gerechnet werden muss. Kann das Merkmal der Heimtücke nicht angenommen werden (und auch keins der anderen in § 211 StGB aufgeführten Mordmerkmale), droht hingegen „lediglich“ eine Verurteilung wegen Totschlags gemäß § 212 StGB. Die Freiheitsstrafe beträgt dann nicht unter fünf Jahre. Aufgrund des strengeren Strafmaßes des Mordes ist es sehr wichtig, dass durch das urteilende Gericht genau geprüft wird, ob die Voraussetzungen der Heimtücke in dem konkreten Fall vorliegen. Das Mordmerkmal der Heimtücke ist daher nicht selten Gegenstand höchstgerichtlicher Entscheidungen, jüngst auch des Urteils des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 20. Juni 2024 (4 StR 15/24).

Es ging dort um einen heranwachsenden Angeklagten, der stark unter der außerehelichen Beziehung seiner Mutter zu einem anderen Mann litt. Er sah in der Affäre eine Herabwürdigung seines Vaters und eine Kränkung der Familienehre. Er teilte dem außerehelichen Partner seiner Mutter nach einigen Monaten mit, dass dieser keine Mitglieder seiner Familie mehr belästigen sollen, anderenfalls würde es „schlimm“ für ihn werden.

Wenige Wochen später war der Angeklagte dann mit dem Auto unterwegs, als er zufällig den neuen Partner seiner Mutter auf dem Gehweg erkannte. Sofort steigerten sich seine Wut und Frustration. Ohne längeres Überlegen hielt er an und setzte das Fahrzeug zurück. Der Mann, auf den die Tat abzielte, bemerkte zwar das Zurücksetzen des Fahrzeugs, ging jedoch davon aus, dass es sich lediglich um ein Parkmanöver handelte. Vor dem Beginn eines abgesenkten Bordsteins bremste der Angeklagte sein Fahrzeug erneut ab, legte den ersten Gang ein und trat das Gaspedal dann vollständig durch. Er fuhr auf den Gehweg und erkannte spätestens zu dem Zeitpunkt, dass der Mann in Begleitung einer Frau unterwegs war. Sodann fuhr er mit weiterhin vollständig durchgedrücktem Gaspedal von hinten auf die zwei Personen zu, wobei der Motor deutlich wahrnehmbar aufheulte – was dem Angeklagten nach den Feststellungen des Landgerichts bewusst war. Obwohl die weibliche Begleitung des Mannes die Motorgeräusche akustisch wahrgenommen hatte, drehte sie sich nicht um. Es kam dann bei einer Geschwindigkeit von 38 km/h zu einer Kollision. Die weibliche Begleitung wurde nur leicht verletzt. Der Mann erlitt aufgrund eines starken Aufpralls auf dem Fahrzeug hingegen Hautabschürfungen und -unterblutungen, einen Teilabriss der linken Ohrmuschel und eine Verletzung am linken Zeh, die jedoch sämtlich folgenlos ausheilten.  

Das Landgericht Aachen hatte den Angeklagten wegen versuchten Totschlags gemäß §§ 212 Abs. 1, 22, 23 Abs. 1 StGB in zwei tateinheitlich begangenen Fällen sowie u.a. in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung gemäß §§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 2, 5 StGB zu einer Jugendstrafe von drei Jahren verurteilt. Eine Verurteilung wegen versuchten Mordes hatte das Landgericht abgelehnt, da es das Mordmerkmal der Heimtücke nicht als erfüllt angesehen hatte. Als Begründung hatte es angeführt, dass der Angeklagte wegen der Fahrt „mit aufheulendem Motor und durchgehend angeschaltetem Licht“ damit rechnen „musste“, dass der Mann und seine Begleitung das sich nähernde Fahrzeug wahrnehmen würden. Er habe daher nicht mit dem erforderlichen Ausnutzungsbewusstsein gehandelt.

Diese Begründung hat den BGH nicht überzeugt. Der BGH stellte vielmehr u.a. fest, dass der aufheulende Motor einer Bejahung des Heimtückemerkmals nicht entgegenstehe. In Bezug auf das Ausnutzungsbewusstsein führte der BGH aus, dass es für das bewusste Ausnutzen der Arg- und Wehrlosigkeit genüge, dass der Täter diese in ihrer Bedeutung für die hilflose Lage des Angegriffenen und die Ausführung der Tat in dem Sinne erfasst, dass er sich bewusst ist, einen durch seine Ahnungslosigkeit gegenüber einem Angriff schutzlosen Menschen zu überraschen. Vorliegend hatten die Tatopfer zwar die Motorengeräusche wahrgenommen. Allerdings ging der Mann lediglich von einem Parkmanöver aus, die Frau hatte sich nicht einmal umgedreht. Beide hatten die drohende Lebensgefahr folglich nicht erkannt und waren daher arglos. Der Angeklagte habe diese Arglosigkeit der Tatopfer auch erkannt und gezielt ausgenutzt. Die Arglosigkeit entfalle zudem auch nicht deshalb, weil die verbleibende Zeitspanne zwischen dem Anfahren und der Kollision – hier nur knapp sechs Sekunden – zu kurz gewesen wäre, um der erkannten Gefahr zu begegnen.

Die Revision der Staatsanwaltschaft hatte daher im Ergebnis Erfolg. Der BGH verwies die Sache zurück an eine andere Strafkammer des Landgerichts, wo sie neu verhandelt und entschieden werden muss.

Rechtsanwalt Steffen Dietrich, Strafverteidiger in Berlin-Kreuzberg

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