Heimtückischer Mord eines Babys?
Ein wenige Wochen oder Monate altes Kleinkind ist aufgrund seines Alters noch nicht zu Argwohn und Gegenwehr fähig. Kann ein Baby also gar nicht heimtückisch getötet werden? Aufgrund dieser Problematik ist es in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes anerkannt, dass es bei der Tötung eines Kleinkindes in diesem Alter nicht auf die Arg- und Wehrlosigkeit des Kindes ankommt, sondern auf die Arg- und Wehrlosigkeit eines im Hinblick auf das Kind schutzbereiten Dritten. Schutzbereiter Dritter ist laut Bundesgerichtshof jede Person, die den Schutz des Kindes vor Leib- oder Lebensgefahr dauernd oder vorübergehend übernommen hat und im Tatzeitpunkt entweder tatsächlich ausübt oder dies deshalb nicht tut, weil sie dem Täter vertraut oder vom Täter ausgeschaltet wurde.
Mit dieser Konstellation musste sich der Bundesgerichtshof (6 StR 231/23) in seinem Beschluss vom 12. Juli 2023 auseinandersetzen. Die Angeklagte fühlte sich zunehmend hilflos und alleingelassen. An einem Abend tötete sie ihr drei Monate altes Baby mit mehreren Messerstichen, während sich ihr Ehemann etwa 360m vom Gebäude entfernt befand. Das Landgericht Schweinfurt wertete die Tat als heimtückischen Mord, da die Angeklagte die vorübergehende Abwesenheit ihres Mannes bewusst zur Begehung der Tat ausgenutzt habe.
Der Bundesgerichtshof stellt in seinem Beschluss jedoch fest, dass der Schuldspruch wegen Mordes rechtlicher Prüfung nicht standhält. Demnach muss der schutzbereite Dritte den Umständen nach auch den Schutz wirksam erbringen können. Er muss zwar nicht unmittelbar zugegen sein, jedoch muss eine gewisse räumliche Nähe vorliegen. Aufgrund der erheblichen räumlichen Entfernung liegt es jedoch nach den getroffenen Feststellungen fern, dass der Ehemann zum Zeitpunkt des Angriffs ein schutzbereiter Dritter war und etwa einen Schrei des Kindes aus der Entfernung überhaupt wahrnehmen konnte.
Rechtsanwalt Steffen Dietrich, Strafverteidiger aus Berlin-Kreuzberg