Hochverdächtig 2/3
Dies ist der zweite Teil eines kleinen Lernbeitrags zum Strafprozessrecht.
Das Strafprozessrecht unterscheidet drei verschiedene Verdachtsgrade, nämlich
- den Anfangsverdacht
- den hinreichenden Tatverdacht und den
- dringenden Tatverdacht
Man stelle sich den Verdacht wieder als einen Strahl vor, der bei bei 0 % beginnt und bei 100 % endet, wobei 0 % für “der Beschuldigte ist völlig unverdächtig” und 100 % für “der Beschuldigte ist sicher der Täter” steht. Ungefähr in der Mitte, etwas über 50 % liegt:
2. Der hinreichende Tatverdacht
Der hinreichende Tatverdacht ist gegeben, wenn
die Verurteilung des Täters wahrscheinlicher ist als ein Freispruch
Im Laufe des Strafverfahrens wird dies zweimal geprüft. Ob ein hinreichender Tatverdacht vorliegt, muss somit einmal im Vorverfahren und einmal im Zwischenverfahren überprüft werden.
Im Vorverfahren entscheidet die Staatsanwaltschaft, ob ein hinreichender Tatverdacht vorliegt. Geregelt ist dies in § 170 I iVm § 203 StPO.
In § 170 I StPO steht:
Bieten die Ermittlungen genügenden Anlass zur Erhebung der öffentlichen Klage, so erhebt die Staatsanwaltschaft sie durch Einreichung einer Anklageschrift bei dem zuständigen Gericht.
Was man unter „genügendem Anlass“ zu verstehen hat, bestimmt § 203 StPO:
Das Gericht beschließt die Eröffnung des Hauptverfahrens, wenn nach den Ergebnissen des vorbereitenden Verfahrens der Angeschuldigte einer Straftat hinreichend verdächtig erscheint.
Hinreichend verdächtig ist der Angeschuldigte, wenn – das habe ich bereits oben gezeigt – eine Verurteilung wahrscheinlicher ist als ein Freispruch.
Geht also der Staatsanwalt davon aus, dass das Gericht mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 % plus x den Angeschuldigten verurteilen wird, kommt er etwas später nach Hause, denn er muss sich an seinen Schreibtisch setzen und eine Anklageschrift verfassen. Liegt die Wahrscheinlichkeit einer Verurteilung nach Ansicht des Staatsanwalts nur bei 49 %, stellt der Staatsanwalt das Verfahren ein und kommt etwas früher nach Hause. Selbstverständlich hat der Staatsanwalt hierbei einen Beurteilungsspielraum.
Im Zwischenverfahren prüft das Gericht noch einmal, ob ein hinreichender Tatverdacht vorliegt, diesmal aus seiner Sicht. Auch das Gericht wendet den § 203 StPO. Die Voraussetzungen sind die gleichen: Die Verurteilung muss wahrscheinlicher sein als ein Freispruch.
Auch hier gilt: Liegt nach Ansicht des Gerichtes kein hinreichender Tatverdacht vor, lehnt es die Eröffnung des Hauptverfahrens ab. Das geht fix.
Glaubt das Gericht aber genauso wie die Staatsanwaltschaft, dass eine Verurteilung wahrscheinlicher ist als ein Freispruch, beschließt es die Eröffnung des Hauptverfahrens. Wen interessiert, was das Gericht in diesen Beschluss hineinschreiben muss, sollte in § 207 StPO hineinsehen. Das Zwischenverfahren ist übrigens damit beendet.
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Zusammenfassung:
Der hinreichende Tatverdacht muss im Laufe des Strafverfahrens zweimal vorliegen, er wird also zweimal „abgeprüft“.
Im Vorverfahren benötigt ihn die Staatsanwaltschaft als Voraussetzung für die Erhebung der öffentlichen Klage gem. § 203 StPO. Die Erhebung der öffentlichen Klage schließt dabei das Vorverfahren ab.
Im Zwischenverfahren ist er für das Gericht Voraussetzung für die Eröffnung des Hauptverfahrens. Die Eröffnung des Hauptverfahrens schließt dabei das Zwischenverfahren ab.
Der hinreichende Tatverdacht liegt vor, wenn eine Verurteilung wahrscheinlicher ist als ein Freispruch.
Der Beitrag wird fortgesetzt.