Ist der gemeinsame Angriff auf zwei Transportfahrer immer gleich eine gemeinschaftlich begangene Körperverletzung im Sinne von § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB?
Gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bestraft, wer die Körperverletzung mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich begeht. Jüngst musste sich der Bundesgerichtshof (BGH) mit der Frage beschäftigen, ob eine gemeinschaftliche Körperverletzung vorlag. Der Entscheidung vom 31. Juli 2024 (2 StR 44/24) lag folgender Sachverhalt zugrunde:
Der gesondert Verfolgte L hatte Informationen über eine Firma, die Warentransporte mit dem Schwerpunkt Schmuckwaren durchführte, erhalten. Er fasste den Entschluss, die Fahrer eines solchen Warentransporters beim Entladen des Transportfahrzeugs mit Schusswaffen zu überfallen, um die transportierten Schmuckteile und Edelmetalle zu entwenden und anschließend gewinnbringend zu veräußern. Im Notfall sollte auch physische Gewalt eingesetzt werden. Den gesondert Verfolgten D und den Angeklagten gewann er für eine Tatbeteiligung.
Nach Maßgabe des Tatplans fuhren die drei Tatgenossen zum Gelände der Firma. Als zwei Fahrer Pakete mit Waren im Wert von mehreren Tausend Euro aus dem Transporter in das Lager umluden, verließen die gesondert Verfolgten L und D, die mit schwarzer Sturmhauben maskiert und dunkel gekleidet waren, ihr Versteck. Mit einer geladenen Handfeuerwaffe liefen sie auf den Transporter zu. Der gesondert Verfolgte D führte zusätzlich – in Absprache mit L und dem Angeklagten – einen Teleskopschlagstock bei sich. Der gesondert Verfolgte D wandte sich an einen der Fahrer und forderte ihn, nachdem er die mitgeführte Pistole auf dessen Kopf gerichtet hatte, dazu auf, in den Transporter einzusteigen, was dieser auch umgehend tat. Der gesondert Verfolgte L versetzte dem anderen Fahrer einen Kinnhacken. Dieser wurde daraufhin bewusstlos.
Der Angeklagte, der das Geschehen beobachtet und auf die Überwältigung der zwei Fahrer gewartet hatte, fuhr sodann rückwärts an den Werttransporter heran. Anschließend luden sie die Waren in das Fahrzeug und flüchteten davon.
Die Strafkammer beurteilte das Verhalten des Angeklagten als besonders schweren Raubes (§ 250 Abs. 2 Nr. 1, § 25 Abs. 2 StGB) und verurteilte ihn zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten. An einer tateinheitlichen Verurteilung wegen einer gefährlichen Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 4 zum Nachteil des zweiten Fahrers sah sich das Gericht gehindert, da diese Körperverletzung nicht gemeinschaftlich begangen worden sei.
Der Generalbundesanwalt legte für die Staatsanwaltschaft gegen das Urteil Revision ein. Dieser hatte hinsichtlich der unterbliebenen Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB vor dem BGH jedoch keinen Erfolg.
Die Karlsruher Richter legten insoweit dar, dass die Qualifikation eine Beteiligung voraussetze, durch die sich die Gefährlichkeit der konkreten Tatsituation für das Opfer erhöhe. Zur Verwirklichung des Qualifikationsmerkmals werde Eigenhändigkeit nicht vorausgesetzt. Ausreichend sei vielmehr, wenn ein am Tatort anwesender weiterer Beteiligter die Körperverletzungshandlung des Täters entweder physisch oder psychisch bewusst in einer Weise verstärke, welche die Lage des Verletzten zu verschlechtern geeignet sei. Dies sei anzunehmen, wenn das Opfer durch die Präsenz mehrerer Personen auf der Seite der Angreifer im Besonderen auch wegen des erwarteten Eingreifens des oder der anderen Beteiligten in seinen Möglichkeiten beeinträchtigt werde, dem Täter der Körperverletzung Gegenwehr zu leisten, ihm auszuweichen oder zu flüchten. Dies sei nicht der Fall, sofern sich mehrere Opfer jeweils nur einem Angreifer ausgesetzt sehen, ohne dass die Positionen ausgetauscht werden. Dann stünden die Beteiligten dem jeweiligen Geschädigten nämlich gerade nicht gemeinschaftlich gegenüber.
Nach Ansicht des BGHs tragen die Feststellungen eine gemeinschaftliche Begehungsweise im Sinne des § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB im hiesigen Fall nicht. Die Strafkammer hatte insoweit festgestellt, dass der gesondert Verfolgte L dem zweiten Fahrer einen Kinnhacken versetzte, während der gesondert Verfolgte D den ersten Fahrer mit einer Pistole bedrohte. Etwaige Unterstützungshandlungen hinsichtlich des durch L ausgeführten Schlages hat die Strafkammer jedoch ausdrücklich nicht festgestellt. Dagegen befand sich der Angeklagte während dieses Geschehens abseits im Fluchtfahrzeug, so dass auch von ihm keine Unterstützungshandlungen ausgingen, die die Lage des zweiten Fahrers verschlechtert hätten.
Schließlich betonte der BGH, dass die Tatsache, dass die gesondert Verfolgten L und D sich in unmittelbarer Nähe zueinander befunden haben und D daher jederzeit gefahrerhöhend in das Geschehen hätte eingreifen können, an dem vorstehenden Befund nichts ändere. Der Tatbestand des § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB setzte eine gemeinschaftliche Begehungsweise voraus und lasse nicht genügen, dass eine solche jederzeit möglich gewesen wäre.
Rechtsanwalt Steffen Dietrich, Fachanwalt für Strafrecht in Berlin-Kreuzberg