K.O.-Tropfen stellen kein gefährliches Werkzeug dar
Der Begriff des gefährlichen Werkzeugs taucht im Strafgesetzbuch an verschiedenen Stellen auf, z.B. bei der gefährlichen Körperverletzung (§ 224 StGB), dem schweren Raub (§ 250 StGB) oder bei dem sexuellen Übergriff, der sexuellen Nötigung und der Vergewaltigung (§ 177 StGB). Die Frage, wann ein gefährliches Werkzeug im Sinne der jeweiligen Norm vorliegt, ist wichtig, da sich bei Vorliegen eines gefährlichen Werkzeugs der Strafrahmen erhöht.
Der Begriff des gefährlichen Werkzeugs wird daher vielfach diskutiert und ist häufig Gegenstand von Gerichtsurteilen. So musste sich jüngst der Bundesgerichtshof (BGH) im Rahmen seines Beschlusses vom 8. Oktober 2024 (5 StR 382/24) mit der Frage beschäftigen, ob es sich bei K.O.-Tropfen um ein gefährliches Werkzeug im Sinne des § 177 Abs. 8 Nr. 1 StGB handelt. Der Entscheidung lag der folgende Sachverhalt zugrunde:
Der Angeklagte und seine Verlobte verbrachten einen Abend mit der späteren Nebenklägerin und deren Freundin. Der Angeklagte tropfte im Laufe des Abends mit einer Pipette heimlich Gamma-Butyrolacton (GBL) in ein Getränk der bereits stark angetrunkenen Nebenklägerin sowie „sehr wahrscheinlich“ auch in ein Getränk seiner Verlobten. Dadurch wollte er die Frauen sexuell enthemmen, um dann mit und an ihnen sexuelle Handlungen zu vollziehen und sich durch gegenseitige sexuelle Handlungen der Frauen sexuell zu erregen. Der Angeklagte nahm dabei billigend in Kauf, dass die Frauen in einen Bewusstseinszustand bis zur Bewusstlosigkeit versetzt werden könnten, in dem sie sich gegen solche Handlungen nicht würden wehren können. Auch war ihm bewusst, dass die Verabreichung der Tropfen, insbesondere in Verbindung mit Alkohol, erhebliche gesundheitliche Risiken bis hin zu einer Todesgefahr in sich barg.
Das GBL, das im Körper zu Gamma-Hydroxybuttersäure (GHB; gemeinhin bekannt als „Liquid Ecstasy“ bzw.- „K.O.-Tropfen“) umgewandelt wird, zeigte die von dem Angeklagten erwünschte Wirkung: Die Frauen zogen sich gegenseitig aus, legten sich auf die Couch und küssten sich. Im weiteren Verlauf trat der Angeklagte hinzu, küsste die Nebenklägerin und streichelte sie zumindest an ihrer mit einem BH bedeckten Brust und über ihrer mit einem Slip bedeckten Vulva. Er erkannte, dass sie aufgrund der Wirkung des GBL keinen entgegenstehenden Willen mehr bilden und äußern konnte. Ohne die Gabe der GBL-Tropfen hätte sie sich nicht auf den Angeklagten eingelassen. Nachdem die Nebenklägerin anschließend zunächst nicht auffindbar war, wurde sie schließlich im Garten des Wohngrundstückes auf der Erde liegend, schlafend, nicht ansprechbar und nur mit einem durchnässten Bademantel bekleidet gefunden. In diesem Zustand hätte sie ersticken können, indem ihre Zunge in den Schlund rutscht oder indem sie infolge Erbrechens Fremdkörper aspiriert.
Das Landgericht (LG) Dresden hatte die Verabreichung des GBL als Verwenden eines gefährlichen Werkezugs gewertet und den Angeklagten daher u.a. wegen besonders schweren sexuellen Übergriffs nach § 177 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1, Abs. 5 Nr. 1, Abs. 8 Nr. 1 StGB verurteilt.
Nach der Ansicht des BGH stellt die heimliche Gabe des GBL zwar eine Gewaltanwendung nach § 177 Abs. 5 Nr. 1 StGB dar. Allerdings habe der Angeklagte kein gefährliches Werkzeug im Sinne der Qualifikation des § 177 Abs. 8 Nr. 1 StGB verwendet. Die GBL-Tropfen stellten weder für sich allein genommen noch bei Verabreichung in ein Getränk ein gefährliches Werkezeug im Sinne der Strafnorm dar.
Der BGH hat ausgeführt, dass eine solche Auslegung die Wortlautgrenze sprengen würde, da unter einem Werkzeug nur feste Gegenstände zu verstehen seien. Flüssigkeiten oder Gase haben keine feste Form und seien daher nicht erfasst. Auch wies der BGH darauf hin, dass bezüglich § 250 StGB (schwerer Raub) bereits höchstrichterlich entschieden worden sei, dass gefährliche Werkzeuge keine Stoffe sein könnten, die erst nach einem Stoffwechselprozess im Körper narkotisierend oder sedierend wirken. Es seien keine Gründe ersichtlich, dieselben Begriffe innerhalb des Strafgesetzbuchs unterschiedlich zu interpretieren. Auch die Pipette, mit der der Angeklagte das GBL in die Getränke getropft hatte, stelle kein gefährliches Werkzeug dar. Der Angeklagte habe die Pipette lediglich als Dosierungshilfe verwendet, weshalb es an der Unmittelbarkeit der Verletzung durch die Pipette fehle. Die Pipette sei nicht dazu geeignet, unmittelbar von außen einwirkend eine Körperverletzung zu verursachen. Dies stehe auch im Einklang mit früherer Rechtsprechung, wonach ätzende Säure, die dem Opfer ins Gesicht gespritzt wird, als gefährliches Werkzeug eingeordnet werden kann. Anders als bei der Beibringung der Tropfen vermittelt über ein Getränk könne eine solche ätzende Säure unmittelbar zu erheblichen Körperverletzungen führen.
Es bleibt nach alledem festzuhalten: K.O.-Tropfen stellen kein gefährliches Werkzeug dar.
Im Ergebnis sah der BGH von einer bloßen Schuldspruchänderung ab. Er verwies die Sache vielmehr mit dem Hinweis an die erste Instanz zurück, dass es nach den Feststellungen des LG nicht fernliege, dass der Angeklagte eine konkrete Todesgefahr der Nebenklägerin herbeigeführt habe (§ 177 Abs. 8 Nr. 2b StGB).
Rechtsanwalt Steffen Dietrich, Fachanwalt für Strafrecht in Berlin-Kreuzberg