Kinderpornographie in Worte gefasst – Wiedergabe eines wirklichkeitsnahen Geschehnisses?
Ein Gastbeitrag von Sophie Schirren, Jurastudentin aus Berlin, über die neuste Entscheidung des BGH zum Thema Kinderpornographie vom 19. März 2013, 1 StR 8/ 13.
Das Thema Kinderpornographie ist eines jener Themen, die eine hohe gesellschaftliche Relevanz aufweisen. Im Zeitalter des Internets erweist es sich als zunehmend schwer, ihrer Entstehung und Verbreitung beizukommen und sowohl Jugendschutz als auch den Schutz der missbrauchten Darsteller zu gewährleisten.§ 184b StGB, um den es im Folgenden gehen soll, ahndet Verbreitung, Erwerb und Besitz kinderpornographischer Schriften.Wer kinderpornographische Schriften, die sexuelle Handlungen von, an oder vor Kindern zum Gegenstand haben, besitzt, macht sich strafbar.
In dem zugrunde liegenden Sachverhalt beschrieb der Angeklagte in einer Email, wie er an dem entblößten Penis des dreijährigen Sohnes eines Freundes manipuliert habe, bis dieser erigiert sei, und wie zunächst er an dem Kind und sodann das Kind an ihm den Oralverkehr ausgeführt habe. Das Urteil des BGH verhält sich nicht dazu, ob diese Email ein fiktives oder reales Geschehen beschreibt. Die Email versendete der Angeklagte an einen Dritten. Das Landgericht Augsburg verurteilte den Angeklagten wegen Besitzverschaffens von kinderpornographischen Schriften gemäß § 184b Abs. 2 StGB. Die Revision des Angeklagten hatte nun Erfolg: der BGH urteilte, dass die Urteilsgründe des Landgerichts sachlich- rechtlicher Nachprüfung nicht stand hielten und sprach den Angeklagten frei.
Zwar bejahte BGH in seiner Begründung, dass eine Email, in der mit Worten von einem sexuellen Missbrauch an Kindern berichtet wird, grundsätzlich auch eine „kinderpornographische Schrift“ i. S. d. § 184b Abs. 2 StGB darstellen kann.
Hierfür sei nach Auffassung des BGH aber Voraussetzung, dass ein „tatsächliches“ und „wirklichkeitsnahes“ Geschehen wiedergeben wird.
In seinem Beschluss unterscheidet der BGH zwischen der Gefährlichkeit bildlicher oder videografischer Darstellung und in Worte gefasste Darstellungen von Missbrauchsgeschehen. Auch letztere könnten vereinzelt unter den Begriff der „kinderpornographischen Schrift“ fallen, wenn sie nicht erkennbar als „Fiktivpornographie“ sind, sondern wirklichkeitsgetreue Beschreibungen eines realen Geschehnisses enthalten. Der Reiz, der von bildlichen oder videografischen Darstellungen ausgeht, sei nach Auffassung des BGH gefährlicher, weil das Missbrauchsgeschehen dem Betrachter unmittelbar vor Augen geführt würde.
Vorliegend handelte es sich um eine Email, in der der Angeklagte ein Missbrauchsgeschehen an einem dreijährigen Kind schilderte. Der BGH sah in diesem Sachverhalt kein „tatsächliches“ und „wirklichkeitsnahes“ Geschehen. Deshalb liegen die Voraussetzungen des Verschaffens kinderpornographischer Schriften nicht vor und der Angeklagte musste freigesprochen werden.
Zutreffend ist mit dem BGH zunächst davon auszugehen, dass bildliche oder videografische Darstellungen von solchen zu unterscheiden sind, die Missbrauchsgeschehen in Worte gefasst darstellen. Es ist davon auszugehen, dass für Menschen mit entsprechender Neigung ein weitaus stärkerer Reiz durch Bild- oder Filmaufnahmen entsteht, als wenn sie die Darstellung des Missbrauchsgeschehens lediglich lesen. Der Anreiz und die Gefahr, dass Gesehene selbst mit Kindern wiederholen zu wollen ist deshalb nach meiner Beurteilung bei konkret vor Augen geführter Darstellungen im Vergleich zu einer in Worte gefasster Darstellung erhöht. Zudem ist der Missbrauch der Darsteller bei bildlicher oder videografischer Darstellungen offensichtlich. Hingegen kann eine schriftliche Darstellung eines Missbrauchsgeschehens nur fantasiert sein.
Die Frage einer klaren Abgrenzung, wann eine in Worte gefasste Darstellung als „tatsächlich“ und „wirklichkeitsnah“ zu werten ist und wann eben nicht, ist eine Frage des persönlichen Wertemaßstabs und nicht objektiv beurteilbar. Auch der BGH erkennt, dass ein rechtlich fassbarer Gesamteindruck weder an Stil- oder Berichtsform, der Detailgenauigkeit oder an Bezügen zu real existierenden Personen zu begründen ist.
Dennoch ist die Darstellung der Begründung des BGH für Rechtswissenschaftler und Rechtsanwender unvollständig. Der Entscheidung fehlt meines Erachtens eine Begründung, warum die Email des Angeklagten nicht als wirklichkeitsnahe Beschreibung eines realen Geschehnisses einzustufen und somit als kinderpornographische Schrift anzusehen ist. Es geht nicht deutlich aus der Entscheidung hervor, ob das in der Email geschilderte Missbrauchsgeschehen durch den Angeklagten fantasiert wurde oder tatsächlich so geschehen ist. Hierzu hätte es weiterer Ausführungen bedurft.