Legitime Verteidigungsstrategie oder üble Nachrede? – Wenn der Strafverteidiger zum Angeklagten wird

Wem die Begehung einer Straftat vorgeworfen wird, weil er beispielsweise eine Vorladung als Beschuldigter oder sogar bereits eine Anklageschrift erhalten hat, hat in Deutschland gemäß § 137 StPO das Recht, sich in jeder Lage des Verfahrens der Hilfe eines Rechtsanwaltes als Verteidiger zu bedienen. Die Aufgabe des Strafverteidigers ist es sodann, seinen Mandanten bestmöglich zu beraten und ihn im Rahmen des Strafverfahrens effektiv zu verteidigen, wobei er hinsichtlich der Wahl der Verteidigungsstrategie grundsätzlich frei ist. Aus seiner Funktion als sog. „Organ der Rechtspflege“ (§ 1 BRAO) folgt jedoch auch, dass sich ein Strafverteidiger nur der prozessual erlaubten Mittel bedienen darf. Wenn ein Strafverteidiger also die Interessen seines Mandanten wahrnimmt, darf er dies nur im Rahmen des gesetzlich Zulässigen tun. Doch wo liegt die Grenze zwischen erlaubter und unerlaubter Strafverteidigung? 

Mit dieser Frage hatte sich auch das Amtsgericht Frankfurt am Main im Rahmen seines Beschlusses vom 10. September 2019 (914 Ds – 5170 Js 242739/18) zu beschäftigen. In dem der Entscheidung zugrunde liegenden Fall, ging es um einen Rechtsanwalt, der für seinen Mandanten in dessen Hauptverhandlung wegen des Vorwurfs des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln (Crack) als Strafverteidiger tätig geworden war. Da der Mandant die Tat abstritt, beantragte der Strafverteidiger im Rahmen seines Schlussplädoyers, dass sein Mandant freigesprochen wird. Dabei führte er aus, dass die vier Polizeibeamten, die zuvor gegen seinen Mandanten ausgesagt hatten, seinen Mandanten nur „drankriegen“ wollten und daher „eine Story gestrickt“ und seinem Mandanten etwas „untergeschoben“ hätten. Der Strafverteidiger behauptete ferner, dass die polizeilichen Zeugen bewusst falsche Angaben in der Hauptverhandlung gemacht hätten. Die Staatsanwaltschaft Frankfurt a.M. sah darin einen Fall der üblen Nachrede gemäß § 186 StGB, weshalb sie den Strafverteidiger entsprechend anklagte.

Das Amtsgericht Frankfurt a.M. teilte die Ansicht der Staatsanwaltschaft jedoch nicht und lehnte die Eröffnung des Hauptverfahrens ab. In dem Beschluss führt das Amtsgericht aus, dass der Strafverteidiger bei der ihm zur Last gelegten Tat „in Wahrnehmung berechtigter Interessen“ im Sinne des § 193 StGB handelte. 

Die dem Strafverteidiger zur Last gelegten Äußerungen in Bezug auf die Polizisten seien das Ergebnis der von einem Verteidiger in einem Schlussvortrag üblicherweise vorzunehmenden Beweiswürdigung gewesen. Der Mandant des Strafverteidigers hatte die ihm zur Last gelegte Tat abgestritten. Dass ein Verteidiger den Einlassungen seines Mandanten Glauben schenkt, sei zulässig und im Rahmen der vertrauensvollen Ausübung seines Mandates nicht fernliegend. In dem von der Anklageschrift zugrunde gelegten Sachverhalt habe es nur zwei mögliche Ergebnisse einer Beweisaufnahme gegeben: Entweder der Mandant hat die ihm zur Last gelegte Tat begangen, oder er hat sie nicht begangen. Es sei denknotwendig, dass entweder der Mandant des Strafverteidigers gelogen hatte oder aber dass die Polizeizeugen übereinstimmend gelogen hatten. Wenn nun der Strafverteidiger in Wahrnehmung seines Mandates bei der Beweiswürdigung zu dem Schluss gekommen war, dass er der Unschuldsbeteuerung seines Mandanten Glauben schenken wolle, so sei es die zwangsläufige, denknotwendige Folge, dass die seinen Mandanten belastenden Zeugen die Unwahrheit sagen. 

Dass es sich bei den Belastungszeugen um Polizeibeamte handelt, gebe ihren Zeugenaussagen insoweit nicht per se eine erhöhte Glaubhaftigkeit und verleihe den Zeugen als solchen nicht per se eine erhöhte Glaubwürdigkeit. Ein Erfahrungssatz „Polizisten lügen nie“ existiere nicht, er sei viele Male falsifiziert worden. Das Amtsgericht könne insoweit aus eigener Berufspraxis von einigen Fällen berichten, in denen erwiesenermaßen mehrere Polizeibeamte in gleichlautenden Vermerken zulasten eines Beschuldigten gelogen hatten.

Schließlich führt das Amtsgericht aus, dass die Möglichkeiten der Verteidigung in einem Strafprozess erheblich einschränkt würden, wenn man die der Anklageschrift zugrunde liegende Auffassung zu einem allgemeinen Rechtsgrundsatz erheben wolle. Immer wieder komme es zu Aussage-gegen-Aussage-Konstellationen, bei denen denklogisch notwendig die eine Seite die Unwahrheit sagt, schlicht lügt. Wenn sich nun Verteidiger – und auch Staatsanwälte – schon allein dadurch strafbar machen könnten, dass sie eine der beiden sich widersprechenden Seiten der Lüge bezichtigen, so sei die Präsentation des Ergebnisses einer Beweiswürdigung dem Amtsgericht zufolge allenfalls noch in Konjunktiven möglich. 

Rechtsanwalt Steffen Dietrich, Strafverteidiger in Berlin-Kreuzberg

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