Lehrbücher zum Ordnugswidrigkeitenrecht – Bohnert/Bülte und Klesczewski im Vergleich
Mit Theorie und Praxis ist das immer so eine Sache. Was der eine theoretisch interessant findet, mag der andere für praktisch irrelevant halten – und umgekehrt. Als schönes Beispiel dient das Ordnungswidrigkeitenrecht. Von der Wissenschaft (in Lehre und Forschung) weitgehend verkannt, in der Praxis aber von überragender Bedeutung. Denn während sich die meisten nur selten bei der Begehung einer Straftat erwischen lassen, nehmen Ordnungswidrigkeiten als vermeintliche Kavaliersdelikte in der Vita vieler Menschen einen Ehrenplatz ein. Seien es auch „nur“ solche aus dem Straßenverkehr.
Die dogmatische Literatur zum Ordnungswidrigkeitenrecht ist jedoch überschaubar. Wir haben zwei der auf dem Markt befindlichen Lehrbücher gelesen – den in der Reihe „Grundrisse des Rechts“ erschienen Bohnert/Bülte (5. Auflage 2016, C.H. Beck) und den Klesczewski aus der Reihe Academia Iuris (2. Auflage 2016, Vahlen) und geben eine erste Einschätzung, ob und für wen sich der Kauf lohnt.
Es ist – und das müssen wir vorausschicken – ein wenig gemein, zwei im Umfang so unterschiedliche Werke zu vergleichen. Bohnert/Bülte ist mit lediglich 174 Seiten ein eher schmaler Band, während der Klesczewski mit 348 Seiten nicht nur doppelt so dick ist – auch die Seiten sind beinahe doppelt so groß. Andererseits konkurrieren beide Werke mit 22,90 € (Bohnert/Bülte) bzw. 31,90 € (Klesczewski) etwa im selben Preissegment, sodass sich ein Vergleich durchaus anbietet.
Die Charakteristika des Bohnert/Bülte sind rasch zusammengetragen: Ein Band, beinahe ein Skript, das man in wenigen Stunden am Stück durchlesen kann, um sich einen allerersten Überblick über das Ordnungswidrigkeitenrecht zu verschaffen. Die Schwerpunkte liegen im Allgemeinen Teil (etwa 50 Seiten) und im Bußgeldverfahren (gut 70 Seiten). Aufgrund des geringen Platzangebots beschränkt sich die Darstellung allerdings häufig auf die Wiedergabe des Gesetzestexts, wesentliche Auslegungshinweise und die Bezüge der Vorschriften untereinander. Wir halten dies für einen – zumindest – psychologischen Vorteil: Ein kurzes Buch, das man tatsächlich durcharbeitet, ist selbstverständlich besser als ein dickes, das man nach wenigen Kapiteln aufgibt. Dass man es dabei nicht nutzen kann, um Einzelprobleme vertiefend nachzuschlagen (zumal es auch überwiegend an weiterführenden Nachweisen fehlt), versteht sich da von selbst und ist gerade kein Mangel.
Ein großes Aber gibt es dennoch: Bohnert/Bülte erläutern das Ordnungswidrigkeitenrecht zumeist aus der Perspektive des Strafrechts. Das macht zwar vor dem Hintergrund Sinn, dass sich beide Dogmatiken natürlich nicht völlig unabhängig voneinander entwickelt haben. Allerdings ermüdet es doch sehr, wenn man – mit einem gewissen strafrechtlichen und strafprozessrechtlichen Background ausgestattet, immer wieder Zusammenfassungen der Strafrechts- und Strafprozessrechtsdogmatik, verbunden mit der Verweisungsnorm aus dem OWiG oder dem Hinweis „XY richtet sich nach den zum Strafverfahren entwickelten Regeln“ (und einer Quelle aus dem Straf(prozess)recht), lesen muss. Aus unserer Sicht hätte es bei so knappem Platz näher gelegen, sich vor allem auf die tatsächlichen OWi-Probleme zu konzentrieren. Anders formuliert: Bedarf es bei nur 174 kleinen Seiten Platz für das Ordnungswidrigkeitenrecht u.a. mehrerer Randnummern zur Ablösung des Verteidigers oder zur notwendigen Verteidigung?
Störend fällt weiterhin das offenbar nicht hinreichend sorgfältige Korrektorat auf. Etwa alle fünf bis zehn Seiten trifft man auf einen sprachlichen Fehler, was wir uns im Hinblick darauf, dass bereits die 5. Auflage vorliegt, nur schwer erklären können. Teilweise wurden zudem seit der Vorauflage neu gefasste Vorschriften nicht erneut nachgeschlagen (vgl. die Wertgrenze des Bagatellbereichs in Höhe von nunmehr 55 € bei § 56 Abs. 1 OWiG; geändert in § 3 Rn. 146, veraltet in § 2 Rn. 147). Auch im Ausdruck hätte dem Manuskript eine mutigere Durchsicht gut getan: „Eine Verwarnung ist unangebracht, wenn sie, auch unter Ausschöpfung des Verwarnungsgeldrahmens, ihren Zweck einvernehmlicher Beseitigung des Verfolgungsinteresses nicht erfüllt.“
Klesczewski macht mehr daraus. Mithilfe von unzähligen Beispielsfällen, grafischen Übersichten, einigen Prüfungsschemata, vor allem aber einer präzisen und verständlichen Sprache führt er ausführlich in das Ordnungswidrigkeitenrecht ein. Dabei liest sich das Werk gerade nicht wie ein abgewandeltes Strafrechtslehrbuch, sondern als eine eigenständige Darstellung seiner ganz eigenen Problemen.
Auch Klesczewski gliedert in einen allgemeinen Teil (Grundprinzipien, Tatbestand, Rechtswidrigkeit und Vorwerfbarkeit, Versuch und Rücktritt, Beteiligung und Rechtsfolgen) sowie einen prozessualen Teil (Grundzüge des Bußgeldverfahrens, Behördliche Verfahren, Zwischenverfahren, Gerichtliches Verfahren), ergänzt dieses aber unter anderem um eine ausführliche Darstellung des Begriff des Ordnungswidrigkeitenrechts und zur historischen Entwicklung dieses Rechtsgebiets – aus unserer Sicht weit mehr als ein Nice-to-have. Alles ist gut mit Fundstellennachweisen versehen, sodass ein vertiefender Einstieg in einzelne Rechtsprobleme leichtfallen dürfte.
Kurzum: Wir mögen das Buch.
In der Neuauflage könnte man allenfalls erwägen, neben den bereits zahlreichen Beispielsfällen aus dem Verkehrsordnungswidrigkeitenrecht auch der in der Praxis wichtigsten „Neben“folge Raum zu gewähren: dem Fahrverbot. Schließlich können viele Menschen ein Bußgeld verschmerzen, ein Fahrverbot ist aus den unterschiedlichsten Gründen aber häufig kaum auszuhalten und damit häufig die eigentliche Daumenschraube. Dieses µ an mehr Praxisorientierung lässt sich sicher noch irgendwo unterbringen.
Bohnert/Bülte: Ordnungswidrigkeitenrecht, 5. Auflage, C.H. Beck, München 2016. 22,90 €
Klesczewski: Ordnungswidrigkeitenrecht, 2. Auflage, Vahlen, München 2016. 31,90 €