Lernbeitrag: Strafrechtliche Grundprinzipien Teil 2
II. Das Gesetzlichkeitsprinzip
A. Rechtsgrundlage und Bedeutung
Es wäre sträflich, eine Auseinandersetzung mit dem Gesetzlichkeitsprinzip nicht mit den gesetzlichen Normen zu beginnen, in denen dieses verankert ist.
Das Gesetzlichkeitsprinzip ist im deutschen Strafrecht in §§ 1, 2 Abs. 1 StGB und Art. 103 Abs. 2 GG niedergelegt.
„Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.“
§ 2 Abs. 1 StGB konkretisiert ergänzend:
„Die Strafe und ihre Nebenfolgen bestimmen sich nach dem Gesetz, das zur Zeit der Tat gilt“.
Daneben finden sich entsprechende Normen auch in der Europäischen Menschenrechtskonvention (Art. 7 Abs. 1 MRK) und wortgleich [3]in dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte (Art. 15 Abs. 1 IPbpR):
„Niemand darf wegen einer Handlung oder Unterlassung verurteilt werden, die zur Zeit ihrer Begehung nach inländischem oder nach internationalem Recht nicht strafbar war. Ebenso darf keine schwerere Strafe als die im Zeitpunkt der Begehung der strafbaren Handlung angedrohte Strafe verhängt werden.“
Es ist allenfalls anzumerken, dass in den letztgenannten völkerrechtlichen Normen auch Gewohnheitsrecht im Sinne allgemeiner Rechtsgrundsätze erfasst und zulässig ist (Art. 7 Abs. 2 MRK, Art. 15 Abs. 2 IPbpR).
B. Die historischen Wurzeln des Gesetzlichkeitsprinzips
Das Gesetzlichkeitsprinzip entspringt drei verschiedenen gedanklichen Quellen.
Zum einen waren es die Vertreter des Naturrechts, welche die Macht der Herrscher gegenüber den Richtern stärken wollten und die „crimina extraordinaria“, also die richterliche Sanktionierung strafwürdigen Verhaltens auch ohne Gesetz, einzudämmen versuchten, wozu sie wiederum genaue Gesetze benötigten.[4]
Daneben waren es die Theoretiker der Aufklärung, insbesondere John Locke und Montesquieu, die in der Hoffnung auf eine Vergrößerung der Freiheitsgrade für den Bürger die Ausübung aller staatlichen Gewalt an das Gesetz binden wollten.
Und schließlich war es Feuerbach, der ein genaues Gesetz als wichtige Voraussetzung für eine anvisierte psychologische Abschreckungswirkung definierte. [5]
Heute wird die „Ratio der Norm“ [6] im Rechtsstaatsprinzip verortet, das sich unter anderem in Art. 20 Abs. 3 GG niederschlägt.
C. Inhalt und Funktion des Gesetzlichkeitsprinzips
Das Gesetzlichkeitsprinzip verlangt, dass nur ein geschriebenes Gesetz (lex scripta) die Strafbarkeit einer Handlung begründen und Strafe als Rechtsfolge androhen kann. Darüber hinaus müssen Strafbarkeitsvoraussetzungen und Rechtsfolgen vor Begehung der Tat im Gesetz festgelegt gewesen sein.[7]
Das Gesetzlichkeitsprinzip hat zwei wesentliche Funktionen. Zunächst soll es den Bürger vor willkürlicher Ausübung und Ausdehnung der staatlichen Gewalt schützen. [7] Hierbei richtet sich das Gesetzlichkeitsprinzip sowohl an den Gesetzgeber als auch an den Richter. Verstöße gegen das Gesetzlichkeitsprinzip sind daher zweifach angreifbar. Ein Verstoß durch den Gesetzgeber führt nach zulässiger und begründeter Verfassungsbeschwerde, Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG zur Verfassungswidrigkeit der Norm. Der Gefahr der (krassen) Missachtung des Gesetzlichkeitsprinzips durch den Richter wird mit § 339 StGB begegnet – der Strafbarkeit der Rechtsbeugung.
Außerdem soll das Gesetzlichkeitsprinzip garantieren, dass „der einzelne von vornherein wissen [kann], was strafrechtlich verboten ist, damit er in der Lage ist, sein Verhalten danach einzurichten“. [9] Der Bürger soll also Rechtssicherheit erlangen und Vertrauensschutz genießen dürfen. [10]
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- [3] Dies gilt jedenfalls für die völkerrechtlich verbindlichen englischen Originalfassungen, nicht jedoch für die Übersetzungen ins Deutsche.
- [4] Dannecker, in: FS für Otto, 25, 27 ff.
- [5] Dannecker, in: FS für Otto, 25, 28.
- [6] MünchKommStGB / Schmitz § 1 Rn. 8.
- [7] Wessels/Beulke Strafrecht AT, Rn. 44.
- [8] Wessels/Beulke Strafrecht AT, Rn. 44.
- [9] BVerfGE 48, 48.
- [10] BVerfGE 13, 261.
Dieser Beitrag zu den strafrechtlichen Grundprinzipien erscheint in mehreren Teilen.
Zum Teil 1: hier