Machen sich JVA – Beamte wegen fahrlässiger Tötung strafbar, wenn sie einem Gefangenen den Freigang gewähren und dieser einen Mord begeht?
Das aktuelle Urteil des Bundesgerichtshofs vom 26. November 2019 (2 StR 557/18) ist vor allem für Examenskandidaten und Studenten von enormer Relevanz, da es sowohl die äußerst beliebte Problematik der Strafbarkeit wegen Mordes in den sog. „Raser- Fällen“ als auch die Strafbarkeit wegen fahrlässiger Tötung behandelt.
In dem vorliegenden Fall genehmigten die zuständigen Justizvollzugsbeamten einem Strafgefangenen den offenen Vollzug sowie den Freigang. Während diesem Freigang beging der Häftling mehrere Straftaten. Obwohl ihm der Freigang nur unter der Auflage, kein Fahrzeug zu führen, gewährt wurde, führte er dennoch ohne Fahrerlaubnis ein Fahrzeug. Als er in eine Polizeikontrolle geriet, flüchtete er. Bei der Verfolgungsjagd auf der vierspurigen Bundesstraße, versuchte die Polizei dann, den Gefangenen zu rammen. Dieser wich jedoch auf die Gegenfahrbahn aus und setzte seine Flucht mit rasanter Geschwindigkeit als „Geisterfahrer“ fort, bis er mit einem entgegenkommenden Fahrzeug zusammenstieß und die 21 – jährige Fahrerin tötete.
Der überlebende Gefangene wurde wegen dieser Tat u. a. wegen Mordes unter Verwirklichung des Mordmerkmals der Gemeingefährlichkeit zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Der umstrittene Vorsatz in Form des dolus eventualis konnte hier insbesondere deshalb angenommen werden, da der Strafgefangene um jeden Preis vor der Polizei flüchten wollte und eine Gefährdung anderer und auch sich selbst zu diesem Zwecke bewusst in Kauf nahm.
Die Justizvollzugsbeamten verurteilte das Landgericht Limburg wegen fahrlässiger Tötung gemäß § 222 StGB. Für die Verwirklichung des § 222 StGB ist erforderlich, dass eine objektive Sorgfaltspflichtverletzung vorliegt und dass diese für den Täter auch erkennbar war. Nach Ansicht des Landgerichts haben die Justizvollzugsbeamten eine solche Sorgfaltspflicht verletzt, indem sie dem Strafgefangenen den Freigang gewährten, der objektiv vorhersehbar zur Tötung der jungen Frau führte. Das Landgericht stützte sich dabei auf die Tatsache, dass der Strafgefangene bereits wegen einer Vielzahl von Verkehrsdelikten verurteilt worden war und dass sich auch seine Neigung, unter risikoreichem Verkehrsverhalten vor der Polizei zu fliehen, ebenfalls bereits in der Vergangenheit gezeigt hatte.
Der Bundesgerichtshof folgte der Argumentation des Landgerichts jedoch nicht und verneinte eine Strafbarkeit der Justizvollzugsbeamten wegen fahrlässiger Tötung.
Die Entscheidungen, den Häftling in den offenen Vollzug zu verlegen und ihm weitere Lockerungen in Form von Freigängen zu gewähren seien nicht sorgfaltspflichtwidrig gewesen. Bei jeder Entscheidung über vollzugsöffnende Maßnahmen komme Justizvollzugsbeamten bei der Abwägung zwischen der Sicherheit der Allgemeinheit und dem grundrechtlich geschützten Resozialisierungsinteresse eines Strafgefangenen ein gewisser Beurteilungsspielraum zu. Da die Angeklagten aus der maßgeblichen Sicht zum damaligen Zeitpunkt alle relevanten Aspekte für und gegen die Genehmigung eines Freigangs berücksichtigt hatten, sei dieser vorliegend nicht überschritten wurden. Zudem habe es keinen Anlass dazu gegebene, weitere Informationen einzuholen. Des Weiteren sei auch eine objektive Vorhersehbarkeit des konkreten Taterfolgs nicht gegeben. Ein Fluchtverlauf, bei dem ein Häftling einen vorsätzlichen Mord unter Verwirklichung des Mordmerkmals der Gemeingefährlichkeit begeht, liege so außerhalb der gewöhnlichen Erfahrung, dass mit ihm nicht gerechnet werden müsse.
Das Urteil des Landgerichts wurde deshalb aufgehoben und die Angeklagten freigesprochen.
Rechtsanwalt Steffen Dietrich, Strafverteidiger aus Berlin-Kreuzberg