Missbrauch von Ausweispapieren durch Vorlage von Kopien oder Übersendung von Bildern eines Ausweises
In einem Anfragebeschluss vom 8. Mai 2019 stieß der 5. Strafsenat die Aufgabe einer seit 1964 bestehenden Rechtsprechung des 4. Strafsenats des Bundesgerichthofs (BGH Urt. v. 4. September 1964 – 4 StR 324/64) an, nach welcher ein Täter einen Ausweis dann nicht im Sinne eines Missbrauchs von Ausweispapieren gemäß § 281 StGB missbräuchlich gebraucht, wenn er diesen einem Dritten durch Vorlage einer Kopie oder Übersendung eines Bildes zugänglich macht.
Der Änderungsvorschlag des 5. Strafsenats lautete:
„Auch durch Vorlage einer Kopie oder elektronische Übersendung des Bildes eines echten Ausweises kann ein Ausweispapier im Sinne von § 281 Abs. 1 Satz 1 StGB zur Täuschung im Rechtsverkehr gebraucht werden.“
Dieser Auffassung schloss sich der 4. Strafsenat mit seinem Beschluss vom 4. Dezember 2019 (4 ARs 14/19) an, entgegen seiner bisherigen Rechtsprechung und der überwiegenden Auffassung im Schrifttum.
Die tragende rechtliche Erwägung, mit welcher der 4. Strafsenat die Aufgabe seiner bisherigen Rechtsprechung begründete, ist eine Parallelbetrachtung des Merkmals des „Gebrauchens“ im Sinne des § 281 StGB und im Sinne des „Gebrauchens“ bezüglich der Urkundenfälschung gem. § 267 StGB. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, kann ein Täter von einer Urkunde im Sinne des § 267 Abs. 1 Var. 3 StGB auch durch Vorlage einer Kopie oder sonstigen Abbildung der Urkunde Gebrauch machen, da auf diese Weise die sinnliche Wahrnehmung der abgebildeten Urkunde selbst ermöglicht wird. Diese Rechtsprechung verfolgte insbesondere den Zweck, Strafbarkeitslücken zu schließen, welche auftraten da durch technische Möglichkeiten falsche Urkunden durch Abbildungen sinnlich wahrnehmbar zu machen sind. Diese Gefahr des Missbrauchs von Urkunden im Rechtsverkehr durch bildgebende Medien besteht im Zeitalter der Digitalisierung mehr denn je.
Diese Wertungen sind auch auf das Merkmal des „Gebrauchens“ im Sinne des § 281 StGB zu übertragen. Hierfür spricht bereits der gleichlautende Wortlaut beider Vorschriften. Darüber hinaus lässt es sich kaum rechtfertigen, im Rahmen des Anwendungsbereichs des § 281 StGB einen Täter straflos zu stellen, der zu seiner Identifizierung im Rechtsverkehr lediglich die Kopie oder eine andere Abbildung eines echten Ausweises vorlegt, demgegenüber aber denjenigen, der zur Täuschung im Rechtsverkehr die Kopie oder Abbildung eines gefälschten Ausweises verwendet, gemäß § 267 StGB sogar aus einer mit deutlich höherer Strafandrohung versehenen Strafvorschrift zu bestrafen. In beiden Fällen vertraut der Rechtsverkehr jeweils nur auf die Kopie oder Abbildung eines Ausweisdokuments – in dem einen Fall auf die Kopie eines gefälschten, im anderen Fall auf diejenige eines echten Ausweisdokuments.
Es ist anzunehmen, dass einer der wesentlichen Beweggründe des 4. Strafsenats für seine Rechtsprechungsänderung eine Anpassung des § 281 StGB an gesellschaftliche Entwicklungen im Zuge der Digitalisierung zu sehen ist. Anklang findet dies in der Erwägung „Diese Gefahr des Missbrauchs von Urkunden im Rechtsverkehr durch bildgebende Medien besteht im Zeitalter der Digitalisierung mehr denn je.“ – bezüglich Urkundenfälschungen. Im digitalen Rechtverkehr gewinnt die Identifikation einzelner Personen durch Abbildungen von Ausweisen zunehmend an Bedeutung. Hiermit geht auch ein gesteigertes Schutzbedürfnis vor der missbräuchlichen Verwendung entsprechender Abbildungen echter Ausweispapiere einher. Dem trägt die Rechtsprechungsänderung des 4. Senats Rechnung.
Rechtsanwalt Dietrich, Fachanwalt für Strafrecht Berlin