Mit dem Rollator durch den Knast
Mord ist das schwerste Delikt im Strafgesetzbuch. Mord wird gem. § 211 Abs. 1 StGB ausnahmslos mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft. Doch bedeutet lebenslange Haft nicht immer, dass der Verurteilte sein restliches Leben lang tatsächlich im Gefängnis bleibt. Manch einer bricht aus dem Gefängnis aus, manch anderer wird nach 15 Jahren auf Bewährung freigelassen.
Möglich machen es die §§ 57 und 57a StGB. Demnach setzt das Gericht die lebenslange Freiheitsstrafe zur Bewährung aus, wenn
1. fünfzehn Jahre der Strafe verbüßt sind,
2. nicht die besondere Schwere der Schuld des Verurteilten die weitere Vollstreckung gebietet und
3. die weiteren Voraussetzungen des § 57 Abs. 1 vorliegen (Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit und Einwilligung des Verurteilten).
Damit reagiert der § 57a auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1977, in dem das Gericht entschied, dass jeder Inhaftierte die Möglichkeit haben muss, eines Tages wieder freizukommen. Mit der Aussicht, nach 15 Jahren wieder aus der Haft entlassen zu werden, soll ein Ausgleich geschaffen werden zwischen dem Grundrecht der Freiheit der Person und dem Sicherheitsinteresse der Bevölkerung.
Nicht so viel Glück bei der Aussetzung seiner lebenslangen Freiheitsstrafe hatte ein inzwischen 77 Jahre alter Mann (Hans-Georg Neumann). Und dabei hat dieser inzwischen nicht nur die erforderlichen 15 Jahre, sondern bereits über 50 Jahre seiner Freiheitsstrafe verbüßt. Das OLG Karlsruhe begründet die ablehnende Entscheidung damit, dass nicht ausgeschlossen werden kann, dass der Verurteilte nach seiner Entlassung erneut schwere Gewalttaten begeht. Es ist erstaunlich, wie positiv das Gericht die Vitalität eines 77-Jährigen beurteilt, der über 50 Jahre im Gefängnis verbracht hat. Wenn man andere Senioren sieht, die ihr ganzes Leben lang in Freiheit verbracht haben, könnte man nach der Beurteilung des OLG Karlsruhe fast meinen, Gefängnis hält jung.
Möglicherweise ist das Gericht gerade deswegen der Überzeugung, dass auch nach so vielen Jahren Haft die problematische Persönlichkeitsstruktur des Inhaftierten unverändert fortbesteht. Es ist zu befürchten, dass der Verurteilte nach seiner Freilassung in eine kriminelle Umgebung, insbesondere ins Drogenmilieu gerät und dort auch erneut gewalttätig wird, sodass im Ergebnis keine positive Zukunftsprognose gegeben werden kann. Bemerkenswert ist dabei die weitere Urteilsbegründung des Gerichts und dessen überraschende Erkenntnis, dass der Verurteilte über keinerlei tragfähige und ihn stabilisierende soziale Kontakte verfügt. Man hätte durchaus schreiben können, dass er „über keinerlei soziale Kontakte mehr verfügt“, was nicht verwundert. Denn bedenkt man, dass ein Mensch in Europa heutzutage eine durchschnittliche Lebenserwartung von 80 Jahren hat, dürften die meisten sozialen Kontakte des Inhaftierten bereits alle tot sein. Hinzu kommt, dass selbst der Verurteilte im Falle seiner Entlassung überhaupt nicht in einer betreuten Wohneinrichtung, die ihn auf die Rückkehr ins soziale Leben vorbereiten würde, wohnen möchte. Für das Gericht ist hier letztlich unter Berücksichtigung aller Umstände eine Aussetzung der Haftstrafe nicht zu verantworten.
Es scheint so, als müsse der Inhaftierte nun gezwungenermaßen tatsächlich bis an sein Lebensende im Gefängnis bleiben.