Mord aus Mitleid – Mordmerkmal der Heimtücke erfüllt?
Das Mordmerkmal der Heimtücke gehört zu den beliebtesten und umstrittensten Mordmerkmalen, weshalb es auch in Examensklausuren immer wieder auftaucht.
Wann also liegt ein heimtückischer Mord vor?
Nach der Rechtsprechung tötet derjenige heimtückisch i.S.d. § 211 Abs. 2 StGB, der die auf der Arglosigkeit beruhende Wehrlosigkeit einer anderen Person in feindseliger Willensrichtung bewusst zur Begehung der Tat ausnutzt. Arglos ist dabei, wer sich zum Zeitpunkt der Tat eines Angriffs nicht versieht, also die Vorstellung hat, vor einem Angriff sicher zu sein. Wehrlosigkeit ist gegeben, wenn dem Opfer die natürliche Abwehrbereitschaft und –fähigkeit fehlt oder stark eingeschränkt ist.
Der Bundesgerichtshof hat in seinem Beschluss vom 19. Juni 2019 (5 StR 128/19) entscheiden müssen, ob die feindselige Willensrichtung auch bei sog. Mitleidsmorden gegeben ist.
In dem vorliegenden Fall stand der Angeklagte finanziell vor dem Ruin. Er hatte Spielschulden, konnte seine Miete und den Strom nicht mehr bezahlen und erwartete jederzeit die fristlose Kündigung. Auch musste er mit einer Strafanzeige rechnen, da er wiederholt seine Bareinnahmen als Taxifahrer einbehielt, anstatt sie ordnungsgemäß an seinen Arbeitgeber abzuführen. Seine 16 Jahre ältere Ehefrau, die physisch sowie psychisch krank war, hatte von dem Ausmaß der finanziellen Schwierigkeiten keine Kenntnis. Der Angeklagte wollte seine Ehefrau einer Existenzbedrohung nicht aussetzen, weshalb er beschloss, zuerst sie und dann sich selbst zu töten. Nachdem seine Ehefrau schlafen gegangen war, nahm er deshalb einen Hammer und schlug ihr neunmal gegen den Kopf. Der darauffolgende eigene Suizidversuch mittels Schlafmitteln scheiterte jedoch.
Das Landgericht Dresden hatte das Mordmerkmal der Heimtücke als nicht verwirklicht angesehen. Es fehle an der feindseligen Willensrichtung des Vorgehens, da der Angeklagte im Glauben getötet habe, zum Besten seines Opfers zu handeln.
Dem schloss sich der Bundesgerichtshof jedoch nicht an.
Es fehle bei einem heimtückischen Mord grundsätzlich nur dann an der feindseligen Willensrichtung, wenn die Tötung dem ausdrücklichen Wunsch des Getöteten entspricht oder – aufgrund einer objektiv nachvollziehbaren Wertung – mit dem mutmaßlichen Willen des zu einer autonomen Entscheidung nicht fähigen Opfers geschieht. Es gebe vorliegend jedoch keine Anhaltspunkte dafür, dass die Ehefrau der Tötung vorher zugestimmt hatte. Auch habe der Angeklagte bewusst davon abgesehen, seine Ehefrau zu fragen, obwohl diese trotz ihrer körperlichen und seelischen Gebrechen nicht derart beeinträchtigt gewesen war, dass sie zu einer autonomen Willensbildung und -äußerung nicht mehr in der Lage gewesen wäre.
Im Ergebnis haben mithin ein Schuldspruch wegen heimtückischen Mordes und eine Verurteilung zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe zu erfolgen. Da dies mitunter jedoch zu unverhältnismäßig harten Ergebnissen führe, sei nach Auffassung des Bundesgerichtshofs anschließend auf Rechtsfolgenseite zu prüfen, ob ausnahmsweise eine Strafmilderung gemäß § 49 Abs. 1 Nr. 1 StGB analog geboten ist.
Rechtsanwalt Steffen Dietrich, Fachanwalt für Strafrecht aus Berlin