Mordmerkmal der Heimtücke
Nachdem in der letzten Woche eine Definition mit eher untergeordneter Relevanz (Unglücksfall § 323c StGB) besprochen wurde, wollen wir uns heute wieder einmal einem Klassiker der strafrechtlichen Ausbildung und Praxis widmen. Die Rede ist von dem Mordmerkmal der Heimtücke, das vor allem in universitären Klausuren ein absoluter Dauerbrenner ist.
In § 211 Abs. 2 Gruppe 2 Alt. 1 StGB steht:
Mörder ist, wer heimtückisch einen Menschen tötet.
Definition: Heimtückisch handelt, wer eine zum Zeitpunkt des Angriffs bestehende Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers bewusst zur Tatbegehung ausnutzt. Dies muss nach Ansicht der Rechtsprechung in feindlicher Willensrichtung (str.) geschehen, um vor allem Tötungsfälle zum vermeintlich Besten des Opfers auszuschließen.
Arglos ist, wer sich zum Beginn der Tat keines Angriffs auf sein Leben oder keines erheblichen oder schweren Angriffs auf seine körperliche Unversehrtheit versieht. Dabei kommt es auf die Lage bei Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz ausgeführten Angriffs an. An der Arglosigkeit fehlt es, wenn das Opfer durch vorausgehende Konfrontation mit ernsthaften Angriffen des Täters rechnet. Nach neuerer Rechtsprechung soll Heimtücke aber wieder gegeben sein, wenn die Zeitspanne zwischen Erkennen der Gefahr und des unmittelbar folgenden Angriffs so kurz ist, dass dem Opfer keine Möglichkeit zur Abwehr bleibt.
Wehrlos ist das Opfer, wenn es keine oder nur eine reduzierte Möglichkeit zur Verteidigung besitzt. Die Wehrlosigkeit muss eine Folge der Arglosigkeit sein, beide Komponenten müssen demnach kumulativ vorliegen.
Heimtücke ist nach ständiger Rspr. auch gegenüber einem Ahnungslosen und einer schlafenden Person möglich. Die schlafende Person muss lediglich arglos eingeschlafen sein. Bei bewusstlosen Personen und Kleinstkindern wird die Möglichkeit von Heimtücke hingegen verneint, weil sie weder die böse Absicht des Täters erkennen noch diesem wirksam entgegentreten können.
Rechtsanwalt Steffen Dietrich, Anwalt für Strafrecht aus Berlin
Vielen Dank, Vanessa! Man lernt nie aus! 🙂
@Debe
Vielen Dank für das Lob!
Dem ausführlichen Kommentar von Vanessa kann ich nichts mehr hinzufügen, oder ist etwas unbeantwortet geblieben?
@ Debe:
Wenn sie dem Vergewaltiger ihrer Tochter drohen, ihn am nächsten Sonntag bei Sonnenaufgang zu töten, ist dieser keineswegs mehr arglos, da er sich ernsthaft mit dem Tod und konkret von Ihnen verfolgt fühlen würde. Ihre Einschätzung ist in dieser Hinsicht völlig richtig.
Zum Kopfschuss: Natürlich ist ein Kopfschuss grausam, zumindest moralisch/menschlich gesehen. Dieses moralische Entsetzen spielt für die juristische Beurteilung jedoch keine Rolle.
Im juristischen Sinne handelt nur derjenige grausam, der seinem Opfer Schmerzen oder Qualen zufügt, die weitaus über das zur Tötung erforderliche hinausgehen (foltern, verbrennen, verhungern lassen, Körperteile abtrennen usw.).
Derjenige, der sein Opfer „nur“ erschießt wird wegen Totschlags bestraft. Die Bestrafung wegen Mordes erfordert hingegen immer noch eine besondere verwerfliche Tatbegehung, die über das Töten eines Menschen hinausgehen muss.
Mit gemeingefährlichen Mitteln sind nur solche gemeint, mit denen Sie eine Gefahr für viele Menschen schaffen (Sie fahren beispielsweise mit ihrem Auto in eine Menschenmasse). Die Verwendung einer nicht vollautomatischen Schusswaffe (Pistole) zählt nicht dazu, selbst wenn sie einen Fehlschuss Inkauf nehmen würden. Anders fällt die Beurteilung aus, wenn Sie ein Maschinengewehr benutzen und damit wild umher schießen.
Ich hoffe, dass Ihnen die Antwort geholfen hat.
Lieber Herr Dietrich, als Laie lese ich gerne solche Beiträge im Blog, vielen Dank für Ihr Engagement hier.
Im Gesetzestext lese ich
… heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitteln oder um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken …
Wenn ich z.B: dem Vergewaltiger meiner Tochter (zwecks Rache) ankündige, ich werde ihn am nächsten Sonntag bei Sonnenaufgang töten, betrachtete ich ihn nicht mehr als arglos. Ob es grausam ist, ihn per gezieltem Kopfschuß ins Jenseits zu befördern oder dies gemeingefährliche Mittel einbezieht, weiss ich nicht – je nach moralischem Kompaß kann man jede Tötung grausam finden. Als Mord würde ich das aber per Bauchgefühl einstufen. Mögen Sie etwas dazu schreiben, wie da eine juristische Beurteilung ausfallen könnte?