Neues Vermögensabschöpfungsrecht ist auch ohne Ermessensvorbehalt auf das Jugendstrafrecht anwendbar
Der Bundesgerichtshof hat entschieden, was zu befürchten war: Das neue Vermögensabschöpfungsrecht kann auch auf Jugendliche und Heranwachsende angewendet werden – und zwar ohne einen besonderen Ermessensvorbehalt.
Anlass dieser Klarstellung war ein Urteil des Landgerichts Dortmund. Dieses hatte den Angeklagten wegen schweren Raubes in vier Fällen und besonders schweren Raubes zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten verurteilt. Außerdem hatte es die Einziehung eines vermeintlich bei dem Angeklagten sichergestellten Betrages in Höhe von 6.800 Euro und die Sicherstellung des Wertersatzes aus den Raubtaten in Höhe von 35.782,70 € angeordnet.
Problematisch war bei der Entscheidung, dass das Landgericht in seinem Urteil nicht festgestellt hatte, ob der Angeklagte bei seiner Festnahme überhaupt den Betrag in Höhe von 6.800,00 Euro bei sich geführt hatte. Darüber hinaus hatte das Landgericht vergessen, den vermutlich sichergestellten Geldbetrag von dem Betrag des Wertersatzes abzuziehen.
Der Bundesgerichtshof nahm diese Aufhänger in seinem Beschluss vom 17. Juni 2019 – 4 StR 62/19 zum Anlass, etwas zur Anwendbarkeit der neuen Vermögensabschöpfung auf das Jugendstrafrecht zu sagen und klarzustellen, dass die Einziehung nicht unter einem besonderen jugendstrafrechtlichen Ermessensvorbehalt steht.
Anwendung der allgemeinen Vorschriften auf Jugendliche und Heranwachsende
§ 2 Abs. 2 Jugendgerichtsgesetz (JGG) bestimmt, dass die allgemeinen Vorschriften nur gelten, soweit das JGG nichts anderes bestimmt. Damit gelten die Vorschriften über die Einziehung nach §§ 73 ff. StGB auch im Jugendstrafrecht.
Für eine jugendstrafrechtliche „Überformung“ besteht nach Ansicht des BGH auch nach der Änderung der Vermögensabschöpfung kein Raum.
Teilweise wurde aus § 8 Abs. 3 JGG die Notwendigkeit einer Ermessensausübung gesehen. Danach kann neben Erziehungsmaßregeln, Zuchtmitteln und Jugendstrafe auf die nach diesem Gesetz (JGG) zulässigen Nebenstrafen und Nebenfolgen erkannt werden.
Der BGH sieht § 8 Abs. 3 JGG aber nicht als einschlägig an, da sie sich nur mit der Frage befasst, inwieweit eine Koppelung dieser Folgen mit den genannten spezifisch jugendstrafrechtlichen Rechtsfolgen (Erziehungsmaßregeln, Zuchtmitteln und Jugendstrafe) statthaft ist.
Obwohl der Wortlaut des § 8 Abs. 3 JGG ein Ermessen bezüglich der Nebenfolgen, also auch der Einziehung, nahelegt, soll er in der Praxis kein besonderes jugendstrafrechtlich begründetes Ermessen eröffnen. Dies begründete der BGH mit einem Vergleich zu § 7 Abs. 1 JGG, der zwar die Anordnung von Maßregeln der Besserung und Sicherung scheinbar in das Ermessen des Gerichts stellt, für den aber ein Ermessen ausdrücklich nicht anerkannt wird.
Darüber hinaus habe der Gesetzgeber nach der Reform der Vermögensabschöpfung den § 8 Abs. 3 JGG nur dahingehend geändert, dass ein Fahrverbot die Dauer von drei Monaten nicht überschreiten darf (Satz 2). Zu einer weitergehenden Änderung habe sich der Gesetzgeber nicht veranlasst gesehen und damit zum Ausdruck gebracht, dass es bei der bisherigen Auslegung und Anwendung der Vorschrift bleiben solle.
Auch aus übergeordneten jugendstrafrechtlichen Gesichtspunkten ergab sich für den BGH keine für die Einziehung zu treffende Ermessensentscheidung.
Die neuen Regeln zur Vermögensabschöpfung sind demnach auch auf Jugendliche uneingeschränkt anwendbar. Das ist insofern problematisch, als dass eine umfangreiche Einziehung von Wertersatz zu einer erheblichen Überschuldung des angeklagten Jugendlichen kommen kann. Ein guter Start in das Ausbildungs- und Berufsleben ist das sicher nicht und regt im schlimmsten Fall zur Begehung neuer Straftaten an.