Provozierter Totschlag
Im Falle einer vorangegangenen Tatprovokation, kann unter bestimmten Voraussetzungen ein minder schwerer Fall des Totschlags gem. § 213 StGB angenommen werden. Hierbei sind Misshandlung und schwere Beleidigung relevante Provokationen i. S. v. § 213 1. Alt. StGB.
Liegen diese Voraussetzungen vor, setzt die Strafrahmenmilderung ferner voraus, dass der Täter „ohne eigene Schuld“ zum Zorn gereizt wurde. Das ist anzunehmen, wenn der Täter bei wertender, auf den Tatzeitpunkt abstellender Betrachtung keine genügende Veranlassung zur Provokation gegeben hat. Falls das Verhalten des Geschädigten eine verständliche und verhältnismäßige Reaktion auf vorangegangenes Tun des Täters ist, sind die Voraussetzungen der Privilegierung nicht erfüllt.
Mit Beschluss vom 19. November 2019 hat der Bundesgerichtshof (2 StR 378/19) festgestellt, dass der provokationsbedingte Zorn des Täters noch im Zeitpunkt der Tatbegehung anhalten muss. Sofern er in diesem Moment bereits durch rationale Abwägung verarbeitet worden ist, kommt eine Privilegierung des Totschlags nach § 213 1. Alt. StGB nicht in Betracht.
Gegenstand der Entscheidung war der Konflikt zwischen Angeklagtem und Geschädigtem. Im Vorfeld zur Tat begann der Geschädigte eine zunächst verbal geführte Auseinandersetzung mit dem Angeklagten. Im Rahmen der dann folgenden körperlichen Auseinandersetzung schubste der Geschädigte den Angeklagten. Es kam zu gegenseitigen Faustschlägen ins Gesicht. Hierbei platzte die Oberlippe des Angeklagten auf. Die Ehefrau des Geschädigten zog den Geschädigten weg. Daraufhin bewaffnete sich der Angeklagte mit einer Glasflasche, die er so abschlug, dass eine scharfe Schnittkante entstand. Mehrere Minuten nach der Auseinandersetzung folgte der Angeklagte dem Geschädigten in der Absicht, diesen zu töten, und stach zweimal mit dem abgebrochenen Flaschenhals direkt hintereinander in den Oberkörper seines Opfers.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Köperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt. Auf die Vorschrift des minder schweren Falls des Totschlags gem. § 213 1. Alt. StGB ist es nicht eingegangen.
Der zum Aufplatzen der Oberlippe führende Faustschlag gegen den Angeklagten stellt eine (erhebliche) Misshandlung i. S. d. Vorschrift dar. Dadurch war der Angeklagte zum Zorn gereizt und auf der Stelle zur Tat hingerissen worden. Zwar sind einige Minuten zwischen der den Zorn des Angeklagten auslösenden Auseinandersetzung und dem eigentlichen Tatgeschehen vergangen, gleichwohl unterbricht dies nicht den erforderlichen Zusammenhang, der insoweit bestehen muss, als der durch die Provokation und die Misshandlung hervorgerufene Zorn im Zeitpunkt der Tatbegehung noch angehalten und als nicht durch rationale Abwägung unterbrochene Gefühlsaufwallung fortgewirkt hat.
Schließlich ist es nach den getroffenen Feststellungen zu den Provokationen und der Misshandlung des Angeklagten auch ohne dessen eigene Schuld gekommen. Der Angeklagte hat dem Geschädigten keine genügende Veranlassung zu dem Faustschlag gegeben. Vielmehr hat der Geschädigte die Auseinandersetzung begonnen und den Angeklagten verbal und körperlich angegriffen. In Anbetracht dessen kann der Faustschlag gegen den Angeklagten nicht als angemessene Reaktion auf das Verhalten des Angeklagten angesehen werden.
Nach Auffassung des Bundesgerichtshofes hätte das Landgericht auf die Vorschrift des § 213 1. Alt. StGB eingehen müssen. Es ist nicht auszuschließen, dass das Landgericht bei Annahme der Voraussetzungen des § 213 1. Alt StGB den damit eröffneten, milderen Strafrahmen wiederum zweifach gemäß den §§ 21, 23 Abs. 2, 49 Abs. 1 StGB gemildert und auch hinsichtlich des tateinheitlich verwirkten Straftatbestands des § 224 StGB einen minder schweren Fall angenommen hätte und innerhalb des neu bestimmten Strafrahmens zu einer milderen Strafe gelangt wäre. Die Revision des Angeklagten mit der Sachrüge zum Strafausspruch hatte folglich Erfolg.
Rechtsanwalt Steffen Dietrich, Fachanwalt für Strafrecht aus Berlin-Kreuzberg