Sittenwidrige Körperverletzung – Einwilligung in sadomasochistische Praktiken
Bei dem Urteil des Bundesgerichthofs vom 24. Mai 2004 (2 StR 505/03) handelt es sich nicht nur um einen absoluten „Klassiker“ der BGH-Rechtsprechung sondern auch um das zentrale Urteil, welches die Grenzen einer Einwilligung in eine Körperverletzung umreißt.
Gemäß § 228 StGB handelt ein Täter trotz Einwilligung des Opfers in eine Körperverletzung auch dann rechtswidrig, wenn die Körperverletzung trotz der Einwilligung gegen die guten Sitten verstößt. Anstoß dafür, dass sich der BGH mit der Frage befasste, wann eine Körperverletzung gegen die guten Sitten verstößt, war die Einwilligung des Opfers in die Vornahme lebensgefährdender Körperverletzungen durch den Täter, zum Zweck sadomasochistische Praktiken.
Die Lebensgefährtin des Angeklagten zeigte großes Interesse an der Ausübung sexueller Praktiken wie „Fesselspiele“. Im Zuge dessen veranlasste sie den Angeklagten dazu, sie mit einem Metallrohr zu würgen. Der Angeklagte erklärte seiner Lebensgefährtin hierbei wie gefährlich die Verwendung eines sich nicht den Konturen des Halses anpassenden Metallrohres beim Würgen sei, ließ sich jedoch dennoch zu dessen Verwendung überreden und verstärkte auf den Wunsch seiner Lebensgefährtin hin die Einwirkung sogar noch. Hierbei erkannte der Angeklagte die Gefährlichkeit seines Verhaltens, vertraute jedoch darauf, dass nichts geschehen werde. Die Lebensgefährtin des Angeklagten verstarb an den Folgen massiver Kompression der Halsgefäße und der dadurch unterbundenen Sauerstoffzufuhr zum Gehirn mit nachfolgendem Herzstillstand.
Infrage stand nun die Wirksamkeit der Einwilligung der Betroffenen in das Verhalten des Angeklagten. Insbesondere, ob die vorliegenden Körperverletzungshandlungen sittenwidrig waren.
Fraglich war bereits, ob die Körperverletzung allein deshalb gegen die guten Sitten verstößt, weil sie zum Zweck sadomasochistischer Praktiken erfolgte. Immerhin hatte das Reichsgericht hierzu ausgeführt, dass der Zweck, sowie die der Tat zugrundeliegenden Ziele und Beweggründe der Beteiligten maßgeblich in die Beurteilung der Sittenwidrigkeit einzubeziehen sind, auch bzw. gerade dann, wenn es sich um „unlautere“, d.h. sittlich-moralisch verwerfliche Zwecke handelt. Gerade bei sadomasochistischen Praktiken erfolgten die Körperverletzungen „zu Unzuchtszwecken“ und deshalb liege trotz einer etwaigen Einwilligung ein Verstoß gegen die guten Sitten vor.
Entgegen dieser Auffassung wandte der Bundesgerichthof jedoch ein, dass für die Beurteilung der Sittenwidrigkeit der Tat nach § 228 StGB vorrangig das Gewicht des jeweiligen tatbestandlichen Rechtsgutsangriffs und damit ein objektives Kriterium ausschlaggebend ist. Hierbei sind in erster Linie der Umfang der vom Opfer hingenommenen körperlichen Misshandlung oder Gesundheitsschädigung und der Grad der damit verbundenen Leibes- oder Lebensgefahr maßgeblich. Das Handeln eines Täters kann danach nicht allein wegen der speziellen sexuellen Motivation als gegen die guten Sitten verstoßend angesehen werden.
Der BGH begründet dies damit, dass die Auffassung des Reichsgerichts nicht zuletzt wegen der gewandelten Moralauffassungen überholt ist. Bereits aufgrund der Uneinheitlichkeit etwaiger Sexualpraktiken, lässt sich wohl kaum ein nach allgemeinen Anschauungen der Bevölkerung eindeutiges Sittenwidrigkeitsurteil feststellen. Nach den vom BGH zugrunde gelegten objektiven Maßstäben ist die Grenze zur Sittenwidrigkeit jedenfalls dann überschritten, wenn bei vorausschauender objektiver Betrachtung aller maßgeblichen Umstände der Tat der Einwilligende durch die Körperverletzungshandlung in konkrete Todesgefahr gebracht wird.
Das vorliegende Urteil ist aus mehreren Gründen bedeutend. Einerseits enthält es eine klare Absage an die Erwägungen des Reichsgerichts bei der Beurteilung der Sittenwidrigkeit. Das Merkmal des „Verstoß gegen die guten Sitten“ ist als solches bereits hochgradig unbestimmt. Die Auslegung des Reichsgerichts, welches die Sittenwidrigkeit mittels weiterer unbestimmter Sittlichkeitserwägungen konkretisieren will, fördert hierdurch die bestehende Unbestimmtheit nur noch. Dem entgegen hat eine Orientierung der Sittenwidrigkeit an der objektiven Gefährlichkeit der Tathandlung, insbesondere im Lichte des umfassenden Lebensschutzes im Rahmen des StGB, zur Folge, dass der Frage wann eine Tat sittenwidrig ist konkrete Grenzen gesetzt sind. Hiermit trägt das vorliegende Urteil maßgeblich zur Bestimmtheit des § 228 StGB und dessen vereinfachter Handhabung in der Rechtspraxis bei.
Rechtsanwalt Dietrich, Fachanwalt für Strafrecht Berlin