So entstehen Protokolle
In einer Verhandlung vor dem Amtsgericht Tiergarten in Berlin war ich in dieser Woche gerade dabei, unmittelbar vor der Hauptverhandlung eine Übereinkunft bezüglich der zu verhängenden Strafe mit dem Gericht zu erzielen.
Plötzlich wandte sich die Richterin an ihre Protokollführerin und meinte, dass die Protokollführerin in der jüngsten Vergangenheit wiederholt nach einem offiziellen Deal den Stempel der qualifizieren Belehrung gesetzt habe, ohne dass die Richterin diesbezüglich belehrt habe.
Hierauf antwortete die Protokollführerin:
Ich dachte, es sei nicht wichtig.
Zunächst war ich kurz geschockt.
Mein Vertrauen in die Rechtsordnung wurde aber wiederhergestellt, weil die Richterin meinte, dass es wohl sehr wichtig sei. Sie habe deshalb den Stempel jedes Mal wieder durchgestrichen.
Bei einer Verständigung (Deal) ist ein Angeklagter gem. § 35 a Satz 3 StPO ausdrücklich zu belehren, dass er trotz der Verständigung berechtigt ist, ein Rechtsmittel einzulegen. Unterbleibt diese qualifizierte Belehrung und unterlässt deshalb ein Angeklagter die Einlegung eines Rechtsmittels, kann dies die Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand gem. § 44 Abs. 1 StPO rechtfertigen. In diesem Fall muss der Angeklagte darlegen, dass er nicht qualifiziert belehrt worden ist und er aufgrund der Absprache meinte, er können kein Rechtsmittel einlegen.
Steht nun im Protokoll, es wurde qualifiziert belehrt, greift § 274 StPO ein. Hier heißt es, dass die Beobachtung der für die Hauptverhandlung vorgeschriebenen Förmlichkeiten nur durch das Protokoll bewiesen werden kann. Das Protokoll hat positive und negative Beweiskraft. Die positive Beweiskraft bedeutet, dass die im Protokoll beurkundeten Förmlichkeiten als geschehen gelten, selbst wenn sie nicht stattgefunden haben.
Aus diesem Grunde stellt das Stempeln ohne Belehrung einen erheblichen Verstoß dar und sollte unterbleiben.
Rechtsanwalt Steffen Dietrich