Spritztour auf zwei Rädern
Spät aber noch vor dem nächsten Tatort wollte ich kurz noch über den Tatort vom letzten Sonntag schreiben.
Zur Erinnerung, Kommissarin Blum war mit einem schweizerischen Kollegen und einem Waffenhändler auf der Flucht vor weiteren Waffenhändlern. Die Mehrzahl der Waffenhändler wollte ihren ehemaligen Kollegen über den Haufen schießen, damit dieser nicht gegen die weiterhin aktiven Geschäftemacher aussagen konnte.
Bei die Flucht musste sich die Kommissarin mit ihren zwei Begleitern in einen Schuppen eines Bauerhofes zurückziehen. Von draußen wurde bereits kräftig auf den Schuppen geschossen.
Es sah wirklich nicht gut aus. Das einzige, was sich im Schuppen fand, war ein altes Motorrad mit Beiwagen. Es blieb nur der Ausweg, dieses Gefährt flott zu machen und dann damit die Flucht nach vorne anzutreten. Anderenfalls wäre man offensichtlich in nicht all zu entfernter Zukunft von den Kugeln getroffen worden.
Ohne dass der Zuschauer miterleben durfte, wie das Motorrad flott gemacht wurde, flüchteten kurz darauf Frau Blum und der Waffenhändler mittels dieses Motorrades.
Hat sich Kommissarin Blum strafbar gemacht?
Sachbeschädigung am Motorrad gem. § 303 StGB scheidet zunächst aus, da der Sachverhalt uns hierfür die notwendigen Details vorenthalten hat.
Es käme aber zunächst ein Diebstahl in Betracht gem. § 242 StGB. Fremde bewegliche Sache und Wegnahme kann man wohl unproblematisch annehmen. Das Tatbestandsmerkmal fremd wäre unter Umständen zu erörtern, wenn es Anzeichen gegeben hätte, dass der ursprüngliche Eigentümer sein Eigentum am Motorrad aufgegeben hat. So verlassen war der Bauernhof dann aber noch nicht.
Problematisch wäre in subjektiver Hinsicht die Zueignungsabsicht. Diese setzt sich zusammen aus einer Aneignungskomponente und einer Enteignungskomponente. Wenigstens vorübergehend wollte sich Kommissarin Blum das Motorrad aneignen – unproblematisch.
Wie sieht es aber mit der notwendigen dauerhaften Enteignung des Berechtigten aus.
Gerade Spritztouren von Jungendlichen mit ausgeliehenen Fortbewegungsmitteln ließen Gerichte an die Grenze richterlicher Rechtsfortbildung stoßen.
Kam die Einlassung, ich wollte mir das Motorrad nur kurz ausleihen und dann wollte ich, dass der Berechtigte sein Motorrad zurückerhält, hätten Gerichte den Angeklagten freisprechen müssen.
Da man so im Ergebnis keinen auf frischer Tat geschnappten Täter jemals hätte überführen können, sahen sich deshalb Gerichte gezwungen, kreativ zu sein.
Zunächst musste aufgrund der Einlassung gewährleistet sein, dass z.B. der PKW an zentraler Stelle abgestellt werden sollte, damit ein Auffinden nicht bloß vom Zufall abhängt. Aber selbst wenn dies der Fall sein sollte, hatten Gerichte keine Skrupel, den Angeklagten wegen Diebstahls von Kraft- und Schmierstoffen zu verurteilen.
Der Gesetzgeber fand, dass dies wohl alles ein wenig zu weit gehen würde und hat deshalb den Straftatbestand des unbefugten Gebrauchs eines Fahrzeuges gem. § 248 b StGB geschaffen.
Somit war wenigstens der Diebstahl von Kraft- und Schmierstoffen vom Tisch. Diesen gibt es heute nicht mehr.
Es geht nur noch darum, ob das Fahrzeug nach der Vorstellung des Täters zeitnah wieder gefunden werden sollte. Wenn nicht, dann Diebstahl.
Da Frau Blum Kommissarin ist, spricht zunächst ihr guter Leumund dafür, dass sie beabsichtigte, nach ihrer Flucht das Motorrad wieder dem Berechtigten zu übergeben. Hätte es sich z.B. um einen Drogendealer gehandelt, wären Gerichte wahrscheinlich nicht so leichtgläubig.
Hiernach können wir den Diebstahl ausschließen, da es an der beabsichtigten dauerhaften Enteignung fehlt.
Hat sich dann aber Kommissarin Blum aufgrund des unbefugten Gebrauchs eines Fahrzeuges strafbar gemacht?
Zum Glück nicht. Da auf sie geschossen wurde, stand ihr ein Rechtfertigungsgrund zur Seite.
Falsch wäre es, von Notwehr gem. § 32 StGB auszugehen. Im Rahmen der Notwehr darf ich mich nur unmittelbar gegen den Angreifer wären. In Abs. 2 heißt es, dass Notwehr die Verteidigung ist, die erforderlich ist, einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff abzuwenden. Das arme Motorrad konnte nichts dafür, dass auf die Drei geschossen wurde.
Einschlägig ist vielmehr der rechtfertigende Notstand gem. § 34 StGB.
Es gab eine gegenwärtige nicht anders abwendbare Gefahr für Leib und Leben – es wurde scharf geschossen.
Durch die Fahrt mit dem Motorrad konnte die Gefahr abgewendet werden.
Bei der notwendigen Interessensabwägung siegt selbstverständlich das Leben der Drei gegenüber dem Verfügungsrecht des Motorradinhabers.
Ende gut alles gut – keine Strafbarkeit von Kommissarin Blum!
Das Beispiel gefällt mir, weil man auch erkennt, was der wohl maßgebliche Unterschied des rechtfertigenden Notstandes im StGB und dem Aggressivnotstand im BGB ist. Ersterer liefert einen „globalen“ Rechtfertigungsgrund, bei dessen Vorliegen dem Geschädigten auch keine SE-Ansprüche gegen den direkten Schädiger zustehen können.
Dagegen hält § 904 BGB ausdrücklich den Weg zu den SE-Ansprüchen offen. Wäre der strafrechtliche Notstand neben dem zivilrechtlichen anwendbar würde ein Wertungswiderspruch zwischen § 904 S. 2 BGB und § 34 StGB entstehen.
Hallo Malte,
danke für den Hinweis!
Ohne dass ich mich zuweit hinauslehnen möchte, meine zivilrechtlichen Kenntnisse verblassen langsam, geht es bei § 904 BGB um wechselseitige Ansprüche der Beteiligten untereinander.
Blöder Fall, Frau Blum hätte in der Situation den Eigentümer angerufen. Dieser hätte dann versucht, eine einstweilige Verfügung zu erlangen, in welcher Frau Blum die Nutzung des Motorrades untersagt wird, zu erlangen. In diesem Verfahren hätte sich Frau Blum auf § 904 BGB berufen können. Die einstweilige Verfügung würde deshalb nicht erlassen werden.
Selbstverständlich kann der Eigentümer nun aber, losgelöst von § 34 StGB, Ersatzansprüche gegenüber Frau Blum geltend machen.
Letztlich gehe ich aber auch davon aus, dass § 904 BGB einen selbständigen Rechtfertigungsgrund neben § 34 StGB liefern wird. Wahrscheinlich wird § 904 BGB § 34 StGB sogar vorgehen. Deshalb sollte § 904 BGB vorab geprüft werden. Erst wenn dieser nicht einschlägig ist, kommt es auf § 34 StGB an.
Und warum ist der insoweit speziellere § 904 BGB nicht angesprochen? Ich halte den hier für eher einschlägig, was zwar auch zur Straffreiheit, aber immerhin zu einer SE-Pflicht führen würde.