Strafverteidiger fordert lebenslange Freiheitsstrafe
Am 27. Juni 2023 gab die Verteidigerin des Angeklagten vor dem Landgericht Ulm ein überraschendes Schlussplädoyer ab.
Die Staatsanwaltschaft hatte eine lebenslange Haftstrafe wegen Mordes gefordert. Der Angeklagte soll einen Menschen heimtückisch und zur Verdeckung einer anderen Straftat getötet haben. Nach Betrachtung des Sachverhaltes gestaltete sich die Beweislage eindeutig und bestätigte die Anklagevorwürfe. Doch nicht nur die Staatsanwaltschaft forderte in ihrem Schlussantrag eine lebenslange Freiheitsstrafe – auch die Verteidigerin des Angeklagten plädierte hierauf.
Das Schlussplädoyer ist ein wichtiges Instrument im deutschen Prozessrecht. Nach § 258 StPO erhält nach der Beweisaufnahme zuerst der Staatsanwalt, dann der Verteidiger und abschließend der Angeklagte das Wort. Das Schlussplädoyer dient primär dazu, die Beweise zu würdigen, die während der Beweisaufnahme gesammelt wurden. Die Staatsanwaltschaft und die Verteidigung verbinden ihre Schlussplädoyers häufig mit einem Antrag an das Gericht, wie es ihrer Meinung nach über den Fall entscheiden sollte.
Das Schlussplädoyer ist kein Muss. Doch ist es häufig sinnvoll, denn es ist der letzte Eindruck, der bei den Schiedsrichtern und der Öffentlichkeit dauerhaft in Erinnerung bleibt.
Beim Verteidigerplädoyer geht es darum, die rechtlichen Interessen des Mandanten zu vertreten und zu verteidigen. Ziel des Verteidigers wird ein Antrag auf Freispruch oder auf Verfahrenseinstellung, § 260 III StPO oder eine Verurteilung zu einer möglichst milden Strafe sein.
Umso überraschender ist der Antrag der Verteidigerin im vorliegenden Fall.
Rechtlich gesehen darf die Verteidigung natürlich auch einen Antrag auf eine lebenslange Freiheitsstrafe für den Angeklagten am Ende des Schlussplädoyers stellen. Es ist aber dennoch überraschend, wenn der Verteidiger fordert, dem eignen Mandanten die schwerwiegendste Strafe des Strafgesetzbuches aufzuerlegen.
Zumal es sinnvolle Alternativen gibt: Wie auch beim Schlussplädoyer bleibt es dem Verteidiger offen, ob er einen Schlussantrag an das Gericht stellen möchte oder nicht. Das Gericht entscheidet anschließend selbständig und unabhängig von den Anträgen der Staatsanwaltschaft oder der Verteidigung über einen Schuldspruch.
Es wäre also unproblematisch möglich gewesen, wenn ein Antrag auf Strafaussetzung zur Bewährung aussichtslos erscheint, einfach keinen Antrag an das Gericht zu stellen. Ein Schlussplädoyer ist sinnvoll, ein Antrag nicht immer.
Selbst wenn die Beweislage gegen den Mandanten spricht und ein Schuldspruch unvermeidlich erscheint, würde bei einem Antragverzicht immerhin das Vertrauen, welches der Mandant dem Verteidiger während des Verfahrens entgegengebracht hat, gebührend wertgeschätzt werden.
Rechtsanwalt Steffen Dietrich, Strafverteidiger aus Berlin-Kreuzberg