Tatort Salzgitter: Der Fall Oury Jalloh und die Lösung des BGH
Die Stadt Salzgitter ist nicht gerade bekannt für einen Tatort. Umso bekannter ist der Fall, den die Bundespolizisten Thorsten Falke (Wotan Wilke Möhring) und Katharina Lorenz (Petra Schmidt-Schaller) am 11. Oktober 2015 aufklären mussten. Er erzählt die Geschichte von Oury Jalloh, einem Asylbewerber aus Sierra Leone, der in einer Polizeizelle in Dessau verbrannte. Der Fall ereignete sich bereits im Jahr 2005. Seine gerichtliche Aufklärung war ersichtlich schwierig. Erst im September 2014 erging das abschließende BGH-Urteil.
Im Tatort haben die Polizisten den Verdacht, der afrikanische Asylbewerber sei ein Schleuser. Als sie ihn festnehmen wollen, leistet er erheblichen Widerstand gegen die Beamten. Daraufhin wird er in den Polizeigewahrsam verbracht und dort gefesselt. Am nächsten Tag ist der Afrikaner tot – verbrannt in der Zelle.
Das Geschehen wirft eine Reihe von Fragen auf. Hat er sich selbst angezündet? Wenn ja, wie? Hatte er ein Feuerzeug bei sich? Oder wurde er verbrannt? Stecken die Kollegen des Polizeireviers hinter der Brandstiftung? Wie konnte in der Zelle überhaupt ein Brand entstehen? Wurde Brandbeschleuniger verwendet? Wer hatte ein Motiv?
Im Tatort findet die Story einen relativ runden Abschluss. Verantwortlich für den Tod des Afrikaners sei ein junger Polizist, der seine Zugehörigkeit zu dem überwiegend ausländerfeindlich gesinnten Polizeikollegium unter Beweis stellen wollte. Er hat den Gefangenen misshandelt und anschließend die Zelle in Brand gesteckt. Abhängig vom konkreten Tathergang und dem Wollen des Polizisten liegt darin ein Mord oder auch eine Brandstiftung mit Todesfolge gem. § 306c StGB.
Schauen wir uns nun kurz an, zu welchen Ergebnissen die beteiligten Gerichte im echten Fall des Oury Jalloh gekommen sind und wie sie das Handeln der Polizeibeamten, insbesondere des Dienstgruppenleiters, strafrechtlich bewertet haben. Dass fast zehn Jahre zwischen dem Geschehen und der abschließenden Gerichtsentscheidung liegen, zeigt bereits, dass sich der Prozess nicht ganz einfach gestaltete.
Zunächst hatte das Landgericht Dessau-Roßlau den Dienstgruppenleiter der Polizei vom Vorwurf der Körperverletzung mit Todesfolge gem. § 227 StGB freigesprochen – nach 58 Hauptverhandlungstagen! Jedoch hob der BGH dieses Urteil wegen Fehlern in der Beweiswürdigung auf. Sodann kam es zu einer neuen Verhandlung vor dem Landgericht Magdeburg. Dieses stellte – im Gegensatz zu den Tatortermittlern – fest, dass sich Oury Jalloh selbst angezündet hat. Das LG verurteilte den Dienstgruppenleiter aber aufgrund fehlender Überwachung wegen fahrlässiger Tötung gem. § 222 StGB zu einer Geldstrafe – nach 67 Hauptverhandlungstagen! Eine Strafbarkeit wegen Freiheitsberaubung mit Todesfolge gem. § 239 Abs. 4 StGB (durch Unterlassen) lehnte das LG aber unter der Annahme eines unvermeidbaren Verbotsirrtums ab.
Im Ergebnis bestätigt der BGH diese Verurteilung wegen fahrlässiger Tötung (Urteil vom 04.09.2014 – 4 StR 473/13). Seine eigene Begründung aber, weshalb eine Freiheitsberaubung mit Todesfolge durch Unterlassen nicht vorliege, ist bemerkenswert: Zunächst sei die Fesselung in der Zelle als solche zulässig gewesen, das ergebe sich aus den entsprechenden Vorschriften des Polizeirechts (§ 64 Nr. 3 SOG LSA). Vorzuwerfen sei dem Dienstgruppenleiter aber, dass er keinen Richter über die Inhaftierung informiert habe (angeblich will der Dienstgruppenleiter die Vorschriften über den Richtervorbehalt, also Art. 104 Abs. 2 GG, nicht gekannt haben). Denn nur der Richter hätte über die Fortdauer der Haft entscheiden können und müssen.
Geprüft werden muss bezüglich einer Strafbarkeit wegen Freiheitsberaubung durch Unterlassen dann aber die sogenannte Quasi-Kausalität. Der BGH fragt sich also, ob dasselbe Resultat, also das Einsperren, auch dann entstanden wäre, wenn die gebotene Handlung (Vorführung beim zuständigen Richter) vorgenommen worden wäre. Ist dies der Fall, entfällt die Kausalität des Unterlassens des Dienstgruppenleiters für die Freiheitsberaubung. Im Ergebnis ist der BGH der Ansicht, dass der zuständige Ermittlungsrichter bei den vorliegenden Umständen des Einzelfalles und auf Grundlage der einschlägigen Vorschriften des Polizeirechts mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit die Fortdauer der Haft (sog. Schutzgewahrsam gem. § 37 Abs. 1 Nr. 1 SOG LSA) angeordnet hätte. Zwar hätte der Richter tatsächlich auch anders entscheiden können, jedoch sei bei der Prüfung eines solchen hypothetischen Kausalverlaufs zugunsten des angeklagten Dienstgruppenleiters von der denkbaren genannten Entscheidung des Richters auszugehen.
Zugespitzt formuliert: Der Dienstgruppenleiter konnte seine eigene Entscheidung über die Fortdauer der Haft treffen, weil gut vorstellbar ist, dass der zuständige Richter genauso entschieden haben würde. Ob das noch als „Auslegung“ des Begriffs Richtervorbehalt durchgeht, kann sicherlich bezweifelt werden.