Tödliches Überholmanöver? Wie ein Strafverteidiger die Verurteilung eines Traktorfahrers wegen fahrlässiger Tötung verhindern konnte

Die Strafverteidigung spielt in einem rechtsstaatlichen Verfahren eine große Rolle. In Deutschland hat daher jeder Beschuldigte gemäß § 137 Strafprozessordnung (StPO) das Recht, sich in jeder Lage des Verfahrens der Hilfe eines Rechtsanwalts als Verteidiger zu bedienen. Dieser Verteidiger kann dann z.B. Einsicht in die Ermittlungsakte nehmen, schriftliche Einlassungen an die Staatsanwaltschaft oder das Gericht übersenden, Beweisanträge stellen und sich in einer Hauptverhandlung für den Beschuldigten einsetzen. 

Wie wichtig die Beteiligung eines Strafverteidigers an einem Strafverfahren sein kann, zeigt ein Urteil des Amtsgerichts Segeberg vom 27. Juni 2024 (Az.: 40 Ds563 Js 56620/22).

In dem Verfahren ging es um einen Mann, der bereits im November 2020 seine Fahrerlaubnis verloren hatte. Dennoch fuhr er am 11. September 2022 mit einem Traktor samt Anhänger auf einer öffentlichen Straße. Beim Überholen zweier Radfahrer hielt er nicht den erforderlichen Seitenabstand ein. Einer der Radfahrer stürzte in den Straßengraben und erlitt einen tödlichen Herzinfarkt. Der zweite Radfahrer konnte eine Kollision nur durch ein abruptes Ausweichmanöver verhindern.

Die Staatsanwaltschaft Kiel klagte den Mann daher wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs gemäß § 315c Strafgesetzbuch (StGB) und vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis gemäß § 21 Straßenverkehrsgesetz (StVG) sowie wegen fahrlässiger Tötung gemäß § 222 StGB an. In der Anklageschrift hatte die Staatsanwaltschaft ausgeführt, dass der Radfahrer „infolge des plötzlichen und dichten Überholvorgangs durch den Angeklagten“ einen „Schreckmoment“ und dadurch einen Herzmuskelinfarkt erlitt und verstarb. Der Angeklagte hätte erkennen können, dass sein Überholmanöver zu tödlichen Folgen aufgrund eines Schreckmoments hätte führen können. Da bei einer Verurteilung wegen fahrlässiger Tötung eine Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren droht, wiegte dieser Vorwurf besonders schwer.

Glücklicherweise konnte der Strafverteidiger des Angeklagten eine Verurteilung wegen fahrlässiger Tötung verhindern. Bereits vor der Hauptverhandlung hatte sich herausgestellt, dass der Radfahrer während des Vorfalls ein Herzfrequenzmessgerät trug, das seine Herzfrequenz aufgezeichnet hatte. Die Staatsanwaltschaft hatte das Gerät zwar auch zur Auswertung an das LKA übersandt, allerdings war es zu einer solchen Auswertung nicht gekommen und die Staatsanwaltschaft hatte ohne die Auswertung Anklage erstattet.

Der Strafverteidiger des Angeklagten beantragte daher selbst Zugriff auf die Gesundheitsdaten. Es gelang ihm anhand dieser Daten zu beweisen, dass nicht der Schreckmoment, sondern vielmehr die Überanstrengung beim Radfahren der Auslöser für den Herzinfarkts des Radfahrers gewesen ist. So hatte der Radfahrer bereits Minuten vor dem Überholmanöver des Angeklagten auf eine Geschwindigkeit von 43 km/h beschleunigt, wobei seine Herzfrequenz auf fast 170 Schläge pro Minute angestiegen war. Dies hatte zu einem akuten Sauerstoffmangel im Herzmuskel geführt, was wiederum einen Herzstilland und tödliche Herzrhythmusstörungen ausgelöst hatte.

Das Gericht beauftragte aufgrund dieser Informationen einen Sachverständigen. Dieser Rechtsmediziner untersuchte sowohl die Daten des Herzfrequenzmessgeräts als auch den Leichnam des Radfahrers und stellte fest, dass der Tod des Radfahrers aufgrund einer natürlichen Ursache eingetreten war. Als Auslöser stellte er eine bei dem Radfahrer vorhandene Herzanomalie fest. Der Radfahrer litt insoweit unter einer Muskelbrücke in der linken Herzkrankschlagader, die bei Kontraktur und starker Belastung zu einer Mangelversorgung des Herzens führen kann. Die körperliche Anstrengung des Radfahrers und dessen starke Gewichtszunahme hätten zu seinem Tod geführt.

Das Amtsgericht verurteilte den Angeklagten daher nicht wegen fahrlässiger Tötung, sondern nur wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis und fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs zu einer Geldstrafe von 150 Tagessätzen zu je 60,00 €. Auch erteilte es eine Sperre von sechs Monaten für die Erteilung einer neuen Fahrerlaubnis.

Der Fall verdeutlicht, dass ein Strafverteidiger bei einem Strafverfahren das A und O ist. Mit der Hilfe eines erfahrenen und engagierten Anwalts kann in vielen Fällen eine unfaire Verurteilung verhindert werden.

Rechtsanwalt Steffen Dietrich, Strafverteidiger in Berlin-Kreuzberg

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