Unter einem Dach lebende Eltern und Kinder sind Garanten füreinander – unabhängig von ihrem tatsächlichen Verhältnis
Als Familie sollte man füreinander da sein. Diesen Slogan würden wohl die meisten Menschen unterschreiben. Im Strafrecht sind die Einzelheiten dieses gut gemeinten Grundsatzes allerdings sehr umstritten, insbesondere wenn es um die Frage der Garantenstellung bei einer Strafbarkeit durch Unterlassen im Sinne des § 13 StGB geht. Denn hat man als Familie eine Garantenstellung allein aus natürlicher Verbundenheit inne? Oder müssen intakte Beziehungen oder zumindest eine häusliche Gemeinschaft bestehen, um eine Strafbarkeit durch Unterlassen zu begründen?
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat zu dieser Frage einen interessanten Beschluss vom 13. Oktober 2016 – 3 StR 248/16 veröffentlicht, in dem er seine ständige Rechtsprechung festigt und betont, dass Kinder die Schutzpflicht für die mit ihnen in einer Hausgemeinschaft lebenden Eltern (und umgekehrt) unabhängig von dem tatsächlichen Vertrauensverhältnis übernehmen.
Als Ausgangspunkt zieht der BGH § 1618a BGB heran, nach dem Eltern und Kinder einander Beistand und Rücksicht schuldig sind. Dieser Regelung komme eine Leitbildfunktion zu, die als Wertmaßstab auch Geltung für die strafrechtliche Betrachtung habe. Bei der Prüfung einer Garantenpflicht im Sinne des § 13 Abs. 1 StGB sei deshalb maßgeblich auf § 1618a BGB zurückzugreifen. Für den BGH bedeutet dies, dass jedenfalls für den Fall des Zusammenlebens von Eltern und Kindern eine gegenseitige Garantenpflicht besteht. Einer Erklärung der Übernahme einer Schutzfunktion, die sonst im Fall von tatsächlichen Wohngemeinschaften vorliegen muss, bedürfe es wegen der Wertung des § 1618a BGB zwischen Eltern und Kindern nicht. Ob die tatsächliche Beziehung zwischen Eltern und Kind im konkreten Fall gegenseitiges Vertrauen rechtfertigt oder sie von gegenseitigem Respekt getragen ist, sei ebenfalls unschädlich.
Wie es um Garantenstellung zwischen Eltern und Kindern steht, die nicht mehr in einer Familiengemeinschaft leben, lässt der BGH bewusst offen, sodass weiterhin Raum für ausschweifende Diskussionen bleibt. In der Klausur oder der Praxis sollte man sich aber zumindest dann kurzhalten, wenn unter einem Dach gelebt wird.