Untersuchungshaft seit 5 Jahren und 9 Monaten – Aufhebung des Haftbefehls wegen überlanger Verfahrensdauer
Die Mühlen der Justiz mahlen langsam. Das dürfte wohl keinem von uns neu sein. Beim Lesen einer Entscheidung des Oberlandesgerichtes Köln bekommt dieses Sprichwort allerdings eine ganz andere Dimension. Denn bei einer andauernden Untersuchungshaft von etwa 5 Jahren und 9 Monaten kann von einem langsamen Mahlen der Justizmühlen keine Rede mehr sein. Vielmehr drängt sich hier nur noch der Begriff der überlangen Verfahrensdauer auf. Glücklicherweise hat das OLG Köln nun Gerechtigkeit walten lassen und den Haftbefehl gegen den Angeklagten aufgehoben.
Doch wie konnte es überhaupt so weit kommen? Das Verfahren begann für den Angeklagten am 05.08.2009, als er von der Polizei vorläufig festgenommen wurde. Seitdem befand er sich aufgrund des Haftbefehls vom 06.08.2009 ununterbrochen in Untersuchungshaft. Die Hauptverhandlung vor der 4. Strafkammer des Schwurgerichts wurde im Juni 2010 mit einer Verurteilung des Angeklagten wegen Mordes in Tateinheit mit Raub mit Todesfolge zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe beendet und die Haftdauer im Beschlusswege angeordnet. Gegen dieses Urteil legte der Beschuldigte Revision ein. Über diese entschied der Bundesgerichtshof (BGH) im Mai 2011 und hob das Urteil des Landgerichts wegen fehlerhafter Beweiswürdigung auf. Das Verfahren wurde an die 1. Strafkammer des Schwurgerichts zurückverwiesen. Diese Begann im Dezember 2011 eine neue Hauptverhandlung und verurteilte den Angeklagten im Juli 2012 erneut wegen Mordes in Tateinheit mit Raub mit Todesfolge zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe und erhielt den Haftbefehl aufrecht. Auch gegen dieses Urteil legte der Angeklagte Revision ein, die wiederum beim BGH landete. Dieser hob das Urteil des Landgerichts im Juni 2014 wegen eines Verfahrensfehlers und Rechtsfehlern bei der Beweiswürdigung auf. Es folgte die Verweisung der Sache an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts. Ein Antrag des Angeklagten auf Aufhebung des Haftbefehls wurde vom BGH mit Hinweis auf seine Unzuständigkeit abgelehnt. Der Anwalt des Angeklagten beantragte daraufhin bei der nun zuständigen 11. Schwurgerichtskammer des Landgerichts den Haftbefehl aufzuheben. Zur Begründung wendete er sich sowohl gegen die Annahme eines dringenden Tatverdachts, als auch gegen die Haftgründe und machte insbesondere geltend, dass die weitere Aufrechterhaltung des Haftbefehls im Hinblick auf den Zeitablauf des Verfahrens unverhältnismäßig sei und gegen den Beschleunigungsgrundsatz in Haftsachen verstoßen würde.
Die zuständige Schwurgerichtskammer wies diesen Antrag jedoch mit der Begründung zurück, dass sich ein Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot mit Rücksicht auf die Komplexität des Falles nicht allein aus der zeitlichen Dauer des Revisionsverfahrens ergebe. Zu berücksichtigen sei auch, dass das Verfahren im Übrigen stets mit der erforderlichen Sorgfalt gefördert worden sei. Außerdem kündigte die Schwurgerichtskammer den Beginn der dritten Hauptverhandlung für Januar 2015 an. Nachdem der Angeklagte erneut Beschwerde einlegte, der wiederum nicht abgeholfen wurde, musste das OLG Köln nun entscheiden.
Das OLG Köln hat die Untersuchungshaft nach diesem jahrelangen Prozedere mit seinem Beschluss vom 01.06.2015 – 2 Ws 299/15 aufgehoben. Die Begründung ist stichhaltig und man fragt sich, warum keines der Gerichte den Haftbefehl früher aufgehoben hat. Zwar sieht auch das OLG Köln die Voraussetzungen des dringenden Tatverdachts und den Haftgrund der Fluchtgefahr weiterhin als gegeben an. Allerdings sagt das OLG auch ganz deutlich, dass die Fortdauer der Untersuchungshaft wegen einer Verletzung des Beschleunigungsgebotes inzwischen nicht mehr verhältnismäßig ist. Dabei betont das OLG den vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Grundsatz, dass Verfahren, in denen sich ein Beteiligter in Untersuchungshaft befindet, von Beginn an und während der gesamten Dauer des Strafverfahrens mit besonderer Beschleunigung zu betreiben sind. Das Gewicht des Freiheitsanspruches verstärkt sich nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gegenüber dem Strafverfolgungsinteresse des Staates mit zunehmender Dauer der Untersuchungshaft. Dabei kann die Schwere der Tat allein bei erheblichen Verfahrensverzögerungen nicht zur Rechtfertigung einer ohnehin schon lang andauernden Untersuchungshaft herangezogen werden. Nach den Grundsätzen des Bundesverfassungsgerichts sind vielmehr die Komplexität des Verfahrens, die Anzahl der beteiligten Personen sowie das Verhalten der Verteidigung zu berücksichtigen.
Das OLG Köln beurteilt den Fall zwar als einen besonders aufwendigen und schwierigen Indizienprozess. Allerdings entspreche das Verfahren dem eines üblichen Schwurgerichtsverfahrens und sei lediglich gegen zwei Angeklagte gerichtet. Auch eine rechtskräftige Verurteilung sei trotz zweier erstinstanzlicher Entscheidungen des Landgerichts Bonn, die im Revisionsverfahren durch Entscheidungen des Bundesgerichtshofs jeweils aufgehoben worden sind, bislang nicht erfolgt. Dabei betonte das OLG Köln vor allem die ungewöhnlich lange Dauer des zweiten Revisionsverfahrens von 14 ½ Monaten sowie die Tatsache, dass ein erneuter Prozessbeginn von Januar auf August dieses Jahres verschoben wurde. Bei seiner Gesamtbetrachtung musste das OLG Köln aus den genannten Gründen eine Verletzung des Beschleunigungsgrundsatzes feststellen und die Untersuchungshaft aufheben.
Rechtsanwalt Steffen Dietrich, Fachanwalt für Strafrecht in Berlin-Kreuzberg