Urlaub des Verteidigers ignoriert – führt eine absprachewidrige Fristsetzung zur Befangenheit der Richterin?

Die Unparteilichkeit von Richtern ist ein fundamentaler Bestandteil unseres Rechtssystems. Um das Vertrauen in die Justiz zu wahren, sieht die deutsche Strafprozessordnung in § 24 StPO die Möglichkeit vor, einen Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen. Nach § 24 Abs. 2 StPO kann dies erfolgen, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen. Hat ein Richter an einem Urteil mitgewirkt, obwohl berechtigte Zweifel an seiner Unparteilichkeit bestanden, stellt dies einen absoluten Revisionsgrund dar (§ 338 Nr. 3 StPO) und führt in der Regel zur Aufhebung des Urteils.

Ein aktueller Beschluss des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 04. Juni 2024 (Az.: 2 StR 51/23) verdeutlicht die Bedeutung dieses Instruments und die Anforderungen an dessen Anwendung. Es ging um zwei Brüder, die sich vor dem Landgericht Bonn wegen Eingehungsbetrug (§ 263 StGB) verantworten mussten. Im Verlauf der Hauptverhandlung wurde deutlich, dass weitere Verhandlungstage erforderlich sein würden. Der Verteidiger des einen Bruders hatte jedoch lange vorab einen knapp drei wöchigen Auslandsurlaub mit seiner Familie geplant. In Absprache mit der Vorsitzenden Richterin wurde vereinbart, dass während seiner Abwesenheit lediglich sog. „Schiebetermine“ stattfinden sollten, bei denen keine wesentlichen Verfahrenshandlungen erfolgen. An diesen Terminen sollte eine Kollegin des Verteidigers als „Terminsvertreterin“ teilnehmen.

Entgegen dieser Absprache setzte die Vorsitzende während des Verteidigerurlaubs eine Frist zur Stellung weiterer Beweisanträge gemäß § 244 Abs. 6 StPO, die bereits vor dessen Rückkehr ablief. Auch kündigte die Vorsitzende an, dass das Plädoyer der Staatsanwaltschaft ebenfalls vor der Rückkehr des Verteidigers gehalten werden soll. Da die Vorsitzende die zuvor getroffene Absprache missachtet hatte, lehnten beide Angeklagte die Vorsitzende wegen Besorgnis der Befangenheit ablehnten. Die Strafkammer wies die Ablehnungsanträge jedoch zurück. Nachdem die Brüder wegen versuchten und vollendeten Eingehungsbetrugs zu Freiheitsstrafen von jeweils zwei Jahren und zehn Monaten verurteilt wurden, legten sie gegen das Urteil daher Revision ein. Der Bruder mit dem Verteidiger im Urlaub rügte insbesondere, dass an dem Urteil eine befangene Richterin mitgewirkt hat (§ 338 Nr. 3 StPO).

Die Revision hatte Erfolg. Nach Auffassung des BGH hatten die Brüder nachvollziehbare Gründe anzunehmen, dass die Vorsitzende Richterin nicht mehr unvoreingenommen agierte. Das Verhalten der Vorsitzenden sei insoweit „evident absprachewidrig“ gewesen. Die Fristsetzung zur Beweisantragstellung mit Ablauf vor der Rückkehr des Verteidigers aus dem Urlaub lasse sich mit ihrer Zusicherung nicht in Einklang bringen. Diese Entscheidung der Vorsitzenden habe wesentliche Verteidigungsbelange in einem Maße berührt, mit dem der Verteidiger nicht habe rechnen müssen. Die Argumentation der Vorsitzenden, der Verteidiger hätte noch zu stellende Beweisanträge aus dem Urlaub heraus fertigen können, überzeugte den BGH nicht. Die zuvor erfolgte Absprache könne nur so verstanden werden, dass sie sich auf die Gesamtdauer des Urlaubs und nicht lediglich auf die konkreten Hauptverhandlungstermine bezog.

Auch die Terminierung des Schlussplädoyers während der Abwesenheit des Verteidigers sei absprachewidrig erfolgt. Für die Verteidigung sei es von entscheidender Bedeutung, Kenntnis davon zu erlangen, wie die Anklagebehörde die Sach- und Rechtslage nach durchgeführter Hauptverhandlung einordnet. Dies geschehe mitunter erstmals im Schlussvortrag. Eine Terminsvertreterin, die die Hauptverhandlung nicht vollständig verfolgt hat, könne nur eingeschränkt beurteilen, auf welche Ausführungen der Staatsanwaltschaft ein besonderer Fokus zu legen sei.

Die Revision führte dazu, dass der BGH das Urteil des Landgerichts aufhob und die Sache an eine andere Strafkammer zurückverwies.

Rechtsanwalt Steffen Dietrich, Fachanwalt für Strafrecht in Berlin-Kreuzberg

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