Wann kann ein Pflichtverteidiger seine Bestellung als Pflichtverteidiger nicht mehr zurücknehmen?
Die Mitwirkung eines Verteidigers in einem Strafverfahren ist unter anderem dann notwendig, wenn das Verfahren vor dem Landgericht stattfindet oder ein Verbrechensvorwurf im Raum steht. Dem Beschuldigten muss dann ein Verteidiger als Pflichtverteidiger beigeordnet werden.
Aber wann kann ein Pflichtverteidiger seine Bestellung als Pflichtverteidiger wieder zurücknehmen? Mit dieser Frage musste sich auch der Bundesgerichtshof (BGH) in seiner Entscheidung vom 5. März 2020 (StB 6/20) befassen.
In dem der Entscheidung zugrunde liegenden Fall führt das Oberlandesgericht Celle gegen den Angeklagten eine Hauptverhandlung wegen des Vorwurfs der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Ausland („Islamischer Staat“). Die Pflichtverteidiger des Angeklagten haben beantragt, ihre Bestellung als Pflichtverteidiger zurückzunehmen, da das Vertrauensverhältnis zu dem Angeklagten vollständig zerrüttet sei. Dieser Antrag wurde von dem Vorsitzenden des Strafsenats abgelehnt. Hiergegen wandten sich die Pflichtverteidiger mit ihren Beschwerden. Sie gaben an, dass der Angeklagte ohne Absprache mit ihnen seine Verteidigungsstrategie geändert und nunmehr ein Geständnis abgelegt habe. Der Angeklagte habe Anfragen der Verteidiger, dies vorher zu besprechen, abschlägig beschieden. Dadurch habe er zum Ausdruck gebracht, dass er nicht bereit sei, mit den bestellten Pflichtverteidigern zusammenzuarbeiten, deren Rechtsrat nicht annehmen werde und eine „wirkliche“ Verteidigertätigkeit nicht gewünscht sei, wodurch der Verteidigung „jede Basis entzogen“ worden sei.
Die sofortige Beschwerde der Pflichtverteidiger blieb jedoch ohne Erfolg. Der BGH hat die sofortigen Beschwerden zwar nach §§ 143a IV, 304 IV 2 Hs. 2 Nr. 1 StPO als statthaft und im Übrigen auch als zulässig, in der Sache jedoch als unbegründet angesehen. Nach Ansicht des BGH liegen die Voraussetzungen für eine Aufhebung der Pflichtverteidigerbestellungen der Pflichtverteidiger auch unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens nicht vor.
Gemäß § 143a Abs. 2 S. 1 Nr. 3 StPO ist die Bestellung des Pflichtverteidigers aufzuheben und ein neuer Pflichtverteidiger zu bestellen, wenn das Vertrauensverhältnis zwischen den Pflichtverteidigern und dem Angeklagten endgültig zerstört ist oder eine angemessene Verteidigung des Angeklagten aus einem sonstigen Grund nicht gewährleistet ist.
Differenzen zwischen dem Pflichtverteidiger und dem Angeklagten über die Verteidigungsstrategie rechtfertigen für sich genommen die Entpflichtung jedoch nicht. Etwas andere könne mit der Folge einer endgültigen und nachhaltigen Erschütterung des Vertrauensverhältnisses allenfalls gelten, wenn solche Meinungsverschiedenheiten über das grundlegende Verteidigungskonzept nicht behoben werden können und der Verteidiger sich etwa wegen der Ablehnung seines Rats außerstande erklärt, die Verteidigung des Angeklagten sachgemäß zu führen. Aus dem Vorbringen der Pflichtverteidiger ergebe sich jedoch kein Grund für eine Rücknahme der Pflichtverteidigerbestellungen.
Der Angeklagte habe vorliegend nach wie vor Vertrauen in seine Pflichtverteidiger und habe zudem erklärt, dass er im Fortgang des Verfahrens auf anwaltliche Hilfe angewiesen sei. Auch müsse der Angeklagte nach der Rechtsprechung des EGMR in Ausübung seines Rechts auf ein faires Verfahren gemäß Art. 6 I, III Buchst. C EMRK maßgeblich auf seine Verteidigungsstrategie einwirken können. Ihm stehe – grundsätzlich beraten durch seine Verteidiger – insoweit die letzte Entscheidungskompetenz zu. Diese habe der Angeklagte vorliegend ausgeübt, was von den Pflichtverteidigern hinzunehmen sei. Auch wenn der Angeklagte es entsprechend dem Beschwerdevorbringen abgelehnt hat, vor Abgabe des Geständnisses dieses mit den Pflichtverteidigern durchzusprechen, belege dies eine Zerrüttung des Vertrauensverhältnisses nicht.
Der Antrag der Pflichtverteidiger auf Rücknahme der Verteidigerbestellung sei daher zu Recht abgelehnt worden.