Wie das Gericht bei einer Erkrankung des Verteidigers reagieren muss
Auch Strafverteidiger können krank werden. Ungünstig ist eine Erkrankung der Verteidigung dann, wenn ein Hauptverhandlungstermin ansteht und es sich nicht um eine Pflichtverteidigung handelt. Denn während bei einer Pflichtverteidigung ein Fall der notwendigen Verteidigung vorliegt und die Abwesenheit des Verteidigers einen absoluten Revisionsgrund darstellt, kann das Gericht bei einer Wahlverteidigung grundsätzlich auch ohne einen Verteidiger verhandeln. Das Gericht muss zwar abwägen, ob das Interesse des Angeklagten an einer wirksamen Verteidigung eine Verlegung des Termins begründet. Kommt das Gericht jedoch zu dem Schluss, dass der zügigen Durchführung des Verfahrens Vorrang zukommt, kann man dagegen nur eingeschränkt vorgehen. Für ein erfolgreiches Fallbeispiel hat kürzlich das Oberlandesgericht (OLG) Hamm mit Beschluss vom 28. Februar 2019 – 4 RBs 71/19 gesorgt.
Der Betroffene hatte vom Polizeipräsidium Münster einen Bußgeldbescheid erhalten, in dem ihm wegen eines Verstoßes gegen das Waffengesetz ein Bußgeld in Höhe von 300,00 Euro auferlegt wurde. Gegen den Bußgeldbescheid legte der Betroffene Einspruch ein und wandte sich an einen Verteidiger. Vom Amtsgericht Münster wurde ein Termin zur Hauptverhandlung anberaumt, den der Verteidiger aufgrund einer Erkrankung nicht wahrnehmen konnte. Er stellte einen Verlegungsantrag an das Gericht, den dieses ablehnte. In der Hauptverhandlung erschienen dann weder der Verteidiger noch der Betroffene. Das Gericht verwarf den Einspruch des Betroffenen. Auch der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wurde zurückgewiesen. Der Betroffene wehrte sich dagegen mit einer Rechtsbeschwerde.
Das OLG Hamm hob das Urteil des Amtsgerichts Münster auf, weil das Gericht fehlerhaft von einem unentschuldigten Ausbleiben des Angeklagten ausgegangen war und den Einspruch nicht hätte verwerfen dürfen.
Das OLG Hamm führte dazu aus, dass es eine Frage des Einzelfalls ist, ob die Fürsorgepflicht des Gerichts die Durchführung der Hauptverhandlung in Anwesenheit des Verteidigers gebietet. Die Anwesenheit eines Verteidigers ist aber nach Ansicht des OLG zumindest dann geboten, wenn es dem Betroffenen aufgrund der Bedeutung der Bußgeldsache und ihrer tatsächlichen und rechtlichen Schwierigkeiten nicht zuzumuten ist, sich selbst zu verteidigen. Im Zweifel überwiege das Verteidigungsinteresse des Betroffenen.
Das Amtsgericht Münster hatte in seinem Urteil überhaupt nicht dargelegt, warum das Interesse an einer reibungslosen Durchführung des Verfahrens Vorrang vor den Verteidigungsinteressen des Betroffenen gehabt haben soll. Es verhielt sich allein zu der Frage der Verhinderung des Betroffenen, nicht aber zu der Verhinderung des Verteidigers. Das OLG Hamm konnte deshalb schon nicht nachvollziehen, ob das Amtsgericht sein Ermessen pflichtgemäß ausgeübt hatte.
Es bleibt also festzuhalten, dass das Gericht bei einer Erkrankung des Wahlverteidigers eine Abwägung zwischen dem Interesse des Betroffenen auf die Verteidigung durch einen Rechtsanwalt und dem Interesse des Gerichts an einer beschleunigten Durchführung des Hauptverfahrens treffen muss. Setzt es sich gar nicht mit der Frage auseinander, warum sich der Betroffene ggf. nicht alleine verteidigen kann und was für ihn auf dem Spiel steht, kommt es seiner Fürsorgepflicht nicht hinreichend nach.
Rechtsanwalt Steffen Dietrich, Strafverteidiger aus Berlin