Wie das Jugendstrafrecht auf Straftaten im Erwachsenenalter angewandt werden kann
Die Anwendung des Jugendstrafrechts bietet viele Chancen für eine erfolgreiche Verteidigung. Denn im Jugendstrafrecht gibt es, anders als im Erwachsenenstrafrecht, auch bei erheblichen Vorwürfen keine festen Strafrahmen und deutlich weitreichendere Möglichkeiten zur Einstellung des Verfahrens. Ein weiterer Vorteil ist, dass bei mehreren Tatvorwürfen unter bestimmten Voraussetzungen insgesamt Jugendstrafrecht angewendet werden kann, auch wenn einige der Vorwürfe bereits im Erwachsenenalter begangen worden sind.
Hintergrund ist, dass eine Verurteilung teils zu Jugend- und teils zu Erwachsenenstrafe gegen § 32 JGG verstößt. Danach darf bei einer gleichzeitigen Aburteilung von Straftaten, die teilweise im Jugend- bzw. im Heranwachsenden- und teilweise im Erwachsenenalter begangen worden sind, nicht auf Jugendstrafe und Erwachsenenstrafe erkannt werden. Ob Jugendstrafrecht oder Erwachsenenstrafrecht anzuwenden ist, richtet sich dann nach dem Schwergewicht der Taten.
Doch wo liegt das Schwergewicht der Taten und wie ist dieses zu bestimmen? Der Bundesgerichtshof (BGH) hat dazu entschieden, dass die bloße Anzahl der Taten keine entscheidende Bedeutung spielt. Selbst wenn nur auf eine Straftat Jugendstrafrecht und auf zehn weitere Taten Erwachsenenstrafrecht anzuwenden wäre, kann das Schwergericht auf der einen nach dem Jugendstrafrecht zu beurteilenden Tat liegen. Auch die Schwere der Tat spielt nach der ständigen Rechtsprechung des BGH bei der Beurteilung des Schwergewichts keine Rolle. Entscheidend ist vielmehr, ob eine frühere Tat als Auslöser für die weiteren Taten angesehen werden kann. Ist auf diese auslösende Tat Jugendstrafrecht anwendbar, müssen auch die anderen Taten nach dem Jugendstrafrecht behandelt werden.
In einer aktuellen Entscheidung des BGH vom 11. Dezember 2018 – 3 StR 378/18 hat dieser ein Urteil des Landgerichts Mainz im gesamten Strafausspruch aufgehoben, weil das Landgericht vergessen hatte, die Anwendung des Jugendstrafrechts zu prüfen.
Das Landgericht Mainz hatte den Angeklagten wegen zahlreicher Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Der 1994 geborene Angeklagte hatte in den Jahren 2015 und 2016 Rauschgift verkauft, um damit Gewinn zu erzielen und seinen eigenen Drogenkonsum zu finanzieren. Dabei brachte er auch Minderjährige dazu, auf dem Schulhof für ihn Drogen zu verkaufen.
Da der Angeklagte bei den Taten im Jahr 2015 noch nicht 21 Jahre alt war, hätte das Landgericht die Anwendung von Jugendstrafrecht prüfen müssen. Dies hat es nicht getan und auf alle Taten Erwachsenenstrafrecht angewandt. Dies war auch insofern problematisch, als dass es sich bei den Vorwürfen um eine Serie von Taten handelte, mit denen der Angeklagte seinen Drogenkonsum finanzieren wollte. Es war demnach nicht ausgeschlossen, dass alle Taten, die der Angeklagte im Erwachsenenalter begangen hatte, wegen der Regelung des § 32 JGG nach dem Jugendstrafrecht hätten behandelt werden müssen. Die Strafe wäre dann wohl sehr viel geringer ausgefallen.
Rechtsanwalt Steffen Dietrich, Fachanwalt für Strafrecht aus Berlin