Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Fristversäumung – Darf auf die üblichen Postlaufzeiten vertraut werden?
Erhält man vom Gericht einen Strafbefehl, kann man innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung Einspruch gegen den Strafbefehl einlegen. Verpasst man diese Frist, wird der Strafbefehl rechtskräftig – er steht einem rechtskräftigen Urteil gleich. Ist die Frist jedoch ohne eigenes Verschulden versäumt worden, besteht unter Umständen die Möglichkeit, einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 44 StPO zu stellen. Ist der Antrag erfolgreich, wird das Verfahren in den Stand zurückgesetzt, in dem es sich befände, wenn die Frist nicht versäumt worden wäre.
Doch wann erfolgt eine Fristversäumung „ohne Verschulden“?
Dies war auch Gegenstand des Beschlusses des Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 27. Januar 2021 (Az. 22 Qs 6/21). Es ging dort um einen Angeklagten, der vom Amtsgericht Strausberg durch einen Strafbefehl wegen Vorenthaltens von Arbeitsentgelt zu einer Geldstrafe verurteilt worden war. Gegen den Strafbefehl, der dem Angeklagten am 5. November 2020 zugestellt worden war, hatte der Angeklagte Einspruch eingelegt. Das Schreiben hatte er insoweit am 17. November 2021 um 18:31 Uhr in einer Filiale der Deutschen Post AG zur Post aufgegeben, es ist jedoch erst am 20. November 2021 und damit nach Ablauf der am 19. November 2020 endenden Frist zur Einlegung des Einspruchs beim Amtsgericht eingegangen.
Der Angeklagte beantragte daraufhin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und begründete dies damit, dass er davon habe ausgehen können, dass sein Schreiben noch am 19. November 2020 beim Amtsgericht eingehen werde. Dies sah das Amtsgericht anders und hat den Wiedereinsetzungsantrag als unbegründet und den Einspruch wegen verspäteter Einlegung als unzulässig verworfen. Gegen diesen Beschluss richtete sich die sofortige Beschwerde des Angeklagten.
Das Landgericht hielt die sofortige Beschwerde des Angeklagten für zulässig und begründet. Dem Angeklagten sei Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, da er ohne sein Verschulden an der Einhaltung der Frist gehindert gewesen sei. Seine Entscheidung begründete das Landgericht damit, dass der Angeklagte davon ausgehen durfte, dass sein Schreiben von der Post noch am 17. November 2020 auf den Briefbeförderungsweg gegeben wird. Auch habe er darauf vertrauen dürfen, dass die Postlaufzeiten eingehalten werden, die durch die Deutsche Post AG für den Normalfall festgelegt sind und die auch auf der Website der Deutschen Post eingesehen werden können. Verzögerungen bei der Briefbeförderung oder -zustellung werden ihm nicht als Verschulden zugerechnet.
Es empfiehlt sich jedoch, sich bei der Versäumung einer Frist zur Einlegung eines Strafbefehls stets zeitnah an einen Rechtsanwalt zu wenden. Dieser kann beurteilen, ob eine angeblich versäumte Frist tatsächlich in Gang gesetzt wurde, was z.B. nicht der Fall wäre, wenn dem Strafbefehl keine Rechtsbehelfsbelehrung beigefügt worden ist. Auch kann ein Anwalt einschätzen, ob ein Antrag auf Wiedereinsetzung in dem konkreten Fall sinnvoll wäre und Aussicht auf Erfolg hat.
Rechtsanwalt Steffen Dietrich, Strafverteidiger in Berlin-Kreuzberg