Zeitpunkt der Arg- und Wehrlosigkeit
Die Heimtücke ist wohl eines der klausurrelevantesten Mordmerkmale. Die Definitionen sind daher essentiell für eine erfolgreiche Strafrechtsklausur. Ein Täter tötet dann heimtückisch, wenn er die durch die Arglosigkeit geschaffene Wehrlosigkeit des Opfers bewusst zur Tatbegehung ausnutzt. Arglos ist, wer sich keines Angriffs auf sein Leben versieht. Wehrlos ist zuletzt derjenige, der infolge seiner Arglosigkeit zur Verteidigung außer Stande oder in der Verteidigung stark eingeschränkt ist.
Wann diese Arg- und Wehrlosigkeit genau vorliegen muss, hat der Bundesgerichtshof (6 StR 132/23) in seinem Beschluss vom 26. Juli 2023 beantwortet. Als die Geschädigte die Haustür öffnete, schlug der Angeklagte ihr mit der Faust ins Gesicht, sodass sie zu Boden fiel. Durch den Faustschlag verlor sie außerdem mehrere Zähne. Daraufhin fixierte er ihren Hals mit seinem Ellenbogen und fügte ihr mit einem Messer einen Schnitt am Hals zu. Dadurch kam es zu starken Blutungen bei der Geschädigten. Der Angeklagte wurde vom Landgericht Rostock unter anderem wegen versuchten Mordes aus Heimtücke verurteilt.
Dass der Angeklagte sich wegen Mord aus Heimtücke strafbar gemacht hat, sah auch der BGH so. Heimtücke liegt zwar grundsätzlich nur dann vor, wenn das Opfer beim ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriff arg- und wehrlos ist. Da der Angeklagte die Geschädigte hier zunächst schlug, war das nicht der Fall. Der BGH führt diesbezüglich jedoch aus, dass ein Opfer auch dann noch arg- und wehrlos sein kann, wenn ein zunächst mit Verletzungsvorsatz geführter Angriff so schnell in einen solchen mit Tötungsvorsatz umschlägt, dass ihm keine Zeit zu effektiver Gegenwehr oder Flucht verbleibt. Die Geschädigte, die im hiesigen Fall in einem Klammergriff am Boden lag, hatte in dieser Situation keine Möglichkeit, sich zur Wehr zu setzen, sodass auch hier die Heimtücke bejaht werden kann.
Rechtsanwalt Steffen Dietrich, Strafverteidiger aus Berlin-Kreuzberg