Zum Tatbestandsmerkmal des Sichbemächtigens einer Person gemäß § 239a Abs. 1 Alt. 1 StGB in einer Zwei-Personen-Konstellation

Dem Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 29. Juni 2022 (3 StR 501/21) lag folgender Sachverhalt zugrunde:

Dem Angeklagten und zwei Mittätern wurde mit der Anklageschrift zur Last gelegt, die beiden in ihrem Wohnhaus in verschiedenen Zimmern schlafenden Geschädigten zu überwältigen und unter Vorhalt von Waffen zu bedrohen, um auf diesem Wege Informationen über etwaige Verstecke von Geld und Wertsachen zu erhalten. In Umsetzung dieses Plans zerrten sie die Geschädigten nebeneinander auf ein Bett und ließen die Jalousie herunter. Anschließend befragten sie die unter Todesangst leidenden Geschädigten unter Vorhalt einer scharf geladenen Pistole und eines Messers über einen Zeitraum von etwa zwanzig Minuten wiederholt nach etwaigen Geldverstecken. Am Ende bat die Geschädigte ihren Lebensgefährten, das Geldversteck preiszugeben, was dieser aus Angst um sich und seiner Lebensgefährtin im Anschluss tat.

Das Landgericht Duisburg hat dieses Tatgeschehen als besonders schweren Raubes in Tateinheit mit erpresserischem Menschenraub gewertet. Gegen das Urteil wurde Revision eingelegt. Der Bundesgerichtshof verwarf allerdings die auf Verfahrensbeanstandungen und die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten.

Nach Ansicht der Karlsruher Richter belegen die Feststellung des Landgerichts, dass sich die Angeklagten auch unter Berücksichtigung der für Zwei-Personen-Verhältnisse in der Rechtsprechung anerkannten Einschränkungen eines Menschen im Sinne von § 239a Abs. 1 Alt. 1 StGB bemächtigt haben.

Der BGH hat ausgeführt, dass im Hinblick auf den Anwendungsbereich klassischer Delikte mit Nötigungselementen wie § 177 StGB, §§ 249 ff. StGB, §§ 253 ff. StGB der Tatbestand des § 239a Abs. 1 StGB im Zwei-Personen-Verhältnis, im Besonderen für Fälle des Sichbemächtigens, einschränkend auszulegen sei. Zur Erfüllung des Tatbestands der räuberischen Erpressung gemäß § 239a Abs. 1 StGB müsse der Täter durch Entführung oder in sonstiger Weise die physische Herrschaftsgewalt über das Opfer gewinnen, dadurch eine stabile Bemächtigungslage schaffen und entweder von vornherein beabsichtigen, diese Lage zu einer Erpressung ausnutzen, oder die zu anderen Zwecken hergestellte Verfügungsgewalt über das Opfer zu einer Erpressung ausnutzen.

Der stabilisierten Bemächtigungslage müsse jedoch mit Blick auf die erstrebte Erpressung eine eigenständige Bedeutung zukommen. In Abgrenzung zu den Raubdelikten sei damit erforderlich, dass sich über die in jeder mit Gewalt oder Drohungen verbundenen Nötigungshandlung liegende Beherrschungssituation hinaus eine weitergehende Drucksituation auf das Opfer gerade auch aus der stabilen Bemächtigungslage ergeben müsse. Der erforderliche funktionale Zusammenhang sei insbesondere dann nicht anzunehmen, sofern sich der Täter des Opfers durch Nötigungsmittel bemächtige, die gleichzeitig unmittelbar der beabsichtigten Erpressung dienen, wenn also Bemächtigungs- und Nötigungsmittel zusammenfallen.

Nach Beurteilung der Karlsruher Richter fallen im vorliegenden Fall Bemächtigungs- und Nötigungsmittel nicht zusammen. Die über den Zeitraum von etwa zwanzig Minuten mittels mehrerer Waffen fortwährend wiederholten Bedrohungen der Geschädigten, die zuvor aus dem Schlaf gerissen und bei heruntergelassener Jalousie nebeneinander unter Bewachung durch mehrere Täter in ihrem Wohnhaus auf ein Bett gesetzt worden waren, begründeten eine stabilisierte Bemächtigungslage und erzeugten eine Drucksituation, die über dasjenige hinausreichte, was zur Durchführung der Erpressung erforderlich war.

 Rechtsanwalt Steffen Dietrich, Fachanwalt für Strafrecht in Berlin-Kreuzberg

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